Inhalt
Einstiegsinformation

Ablauf
Die nachfolgende empirische Dokumentation bezieht sich auf eine Weisertweckenfahrt in der Gemeinde Schechen bei Rosenheim (Oberbayern) am Sonntag, dem 28.10.2012. Die Beobachtung begann um 13.00 Uhr und endete um 20.00 Uhr. Sie umfasst das Schmücken und das Begleiten des Weisertweckens auf seiner Fahrt bei für diese Jahreszeit eher ungewöhnlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt mit leichtem Schneefall sowie das gesellige Beisammensein, Essen und Trinken im Anschluss. Dem eigentlichen Ausüben des Brauches des Weisertweckenfahrens geht zunächst eine mehrere Wochen dauernde Planungs- und Organisationsarbeit voraus. Dabei muss zunächst mit den Beteiligten abgesprochen werden, für welches Datum ein Termin für die Weisertweckenfahrt festgelegt werden soll. Der Vorstand des Trachtenvereins kümmert sich daraufhin um die Besorgung der verschiedenen Requisiten. Zentral ist dabei die Auswahl eines geeigneten Bäckers. Im beobachteten Fall erklärte sich ein Bäckereibetrieb, der in einem etwa 20 km entfernten Ort ansässig ist, dazu bereit, die Weißbrote und Nusszöpfe, welche den Weisertwecken bilden, herzustellen. Bei der Wahl des Bäckers spielte es eine Rolle, dass zunächst einmal überhaupt die Möglichkeit bestand, das Gebäck in den gewünschten Dimensionen herzustellen. Ein weiterer Faktor war die zu erwartende Qualität der Bäckerware.
Griaß Gott beinand, es (Name der Familie)-Leid’ griaß eich, z’eich kemman mia zum Weisert heit.
Der Trachtenverein gibt eich heit die Ehr’, da bringt’s doch glei des Kindl her, damit ma seh’ ko – des is g’wiss – dass es a Buabal is.
A Buabal is’, des hamma g’sehn, so kemma a den Wecken übergeb’n, Mia wünschen eich viel Glück und Segen, G’sundheit und ein langes Leben.
Die Kindseltern solln sie glei mal niederknien, und den Wecken mal probiern.Obwohl im Prolog enthalten, wird auf den Aspekt des Überprüfens, ob es sich bei dem Kind auch tatsächlich um einen Jungen handle, nicht bestanden. In der letzten Strophe werden die Eltern dazu aufgefordert den Wecken anzubeißen. Dies tun sie, indem sie etwas in die Hocke gehen und gleichzeitig in das große hintere Ende des Weckens bzw. des Weißbrotes, das am Ende befestigt ist, beißen. Daraufhin bedankt sich das Ehepaar und lädt alle Gäste zu einem gemütlichen Beisammensein in privaten Räumlichkeiten der Familie ein. Nach der wetterbedingt kurzen Fahrt freuen sich die Überbringer, im Warmen mit der Familie feiern zu können.

Akteure

Veranstaltungsort

Brauch- und Rollenverständnis
Der allgemeinen Interpretation der Brauchträger zufolge, handelt es sich beim Weisertweckenfahren um die Überbringung eines Geschenks: Der Begriff „Weisertwecken“ stammt demnach vom althoch-deutschen „wisod“, was so viel wie „Geschenk“ bedeutet. Daraus habe sich dann der Begriff „zum Weisert gehen“ – ein Geschenk überbringen – entwickelt. Dies ist zudem ein Zeichen der Ehre und der Freude darüber, dass einem Gemeinde- und Vereinsmitglied ein Stammhalter geboren wurde. Für die Kindseltern ist es eine große Freude, einen Weisertwecken zu erhalten. Diese Ehre steht (langjährig) aktiven Mitgliedern des Trachtenvereins, die einen Buben bzw. Stammhalter geboren haben, zu. Als Dank für die Überbringung dieses symbolträchtigen Geschenks fungieren die Eltern bei der Feier schließlich als Gastgeber. Dabei ist es ihnen wichtig, ihre Gäste gut zu bewirten und gemeinsam mit ihnen Feiern zu können. Die Mitglieder des Trachtenvereins, die in erster Linie die Rolle der Überbringer des Geschenks innehaben, sehen die. Ausübung des Brauches ihrerseits als ein freudiges Ereignis. Der Vereinsvorstand nimmt im Kontext des Weisertweckenfahrens eine leitende Rolle ein. Der Weisertwecken, also das Brot, soll demnach symbolisch für die Stärkung der Mutter nach der Geburt des Kindes gelten (auch wenn der Sohn im Rahmen des beobachteten Brauches bereits 14 Monate alt war). Dieses Geschenk steht u.a. dafür, dass im Haus nie das Brot ausgehen solle und immer gut für das Kind bzw. die gesamte Familie gesorgt sei. Am Brauchgeschehen nehmen auch weitere Personen teil, welche die Gruppe der Gäste bilden. Eingeladen sind dabei vor allem befreundete und bekannte Personen bzw. Familien. Sie nehmen in gewisser Weise zwar am Brauch teil und sind mit den wesentlichen konstitutiven Elementen und Aktionsmustern teilweise vertraut, übernehmen jedoch keine leitende bzw. spezielle Funktion. Das Überbringen eines Geschenks wird von ihnen aber nicht nur durch das Begleiten des Weisertweckens, sondern auch anhand einzelner privater Gaben für das Kind und die Eltern verdeutlicht.Organisation der Brauchveranstaltung
Der Brauch läuft in erster Linie in einem privaten Rahmen ab. Initiiert und organisiert wird er jedoch durch den örtlichen Trachtenverein. Bei den Eltern des neugeborenen Sohnes wird zunächst angefragt, ob sie gerne einen Weisertwecken erhalten wollen. Ist dies der Fall, steht als nächstes die Terminfindung an: Wann haben die Mitglieder des Trachtenvereins, die Blaskapelle, die Eltern Zeit? Außerdem steht die Frage im Raum, wer den Wagen sowie den Traktor zum Ziehen des Weckens zur Verfügung stellt. Ein weiterer zu organisierender Gesichtspunkt ist die Wahl eines geeigneten Bäckers zur Herstellung des Weißbrotes bzw. des Nusszopfes. Dabei wird u.a. viel Wert auf die zu erwartende Qualität der Bäckerware gelegt. Schließlich kommen auch auf die Familie, die den Weisertwecken erhält, einige Punkte der Organisation zu. Dabei geht es vor allem darum, wo und wie genau die Feier sowie die Bewirtung der Gäste stattfinden sollen. Die Einladung zur Feier sowie zum vorausgehenden Brauchgeschehen erfolgte nicht schriftlich sondern unmittelbar im Gespräch.Hintergrund-Infos
Folgende Angaben stützen sich auf die Ergebnisse eines Expertengespräches mit dem Vorstandsvorsitzenden des örtlichen Trachtenvereins. Zudem wurde aus zwei Festschriften des Trachtenvereins zum 50. sowie 60. Gründungsfest jeweils ein kurzer Artikel zum Thema Weisertweckenfahren herangezogen. Der Trachtenverein, dessen Mitglieder die beschriebene Weisertweckenfahrt am 28.10.2012 initiierten, wurde 1947 gegründet. Seitdem besteht dort der individuellen Erinnerung des Trachtenvereins-Vorstandes zufolge auch das Weisertweckenfahren. Woher genau die Überlieferung des Brauches stammt, kann der Vorstand nicht ganz sicher beantwor-ten. Es wird vermutet, dass ein Mitglied des 1947 neu gegründeten Vereins bereits vor dem 2. Weltkrieg Beziehungen zu Trachten- und Heimatvereinen in der Umgebung von Raubling (Oberbayern) hatten und dort jener Brauch bereits länger ausgeführt worden war. Ausgehend davon könne es möglich sein, dass ein gewisses Grundkonzept sowie weitere Brauchs- bzw. Aktionsmuster adaptiert wurden. Bis zum Zeitpunkt bzw. Termin der Ausübung des beobachteten und beschriebenen Brauches wurde der Weisertwecken-Wagen von zwei Pferden (bayr. Rösser) gezogen. Dabei wurde dem Vereinsvorsitzenden zufolge viel Wert auf das Schmücken der Zugtiere gelegt. Nachdem sich jedoch bei einer vorherigen Weisertweckenfahrt ein Unfall ereignet hatte, bei dem die Zugpferde in einen drahtigen Zaun gerieten und durchgingen, wurde ein Traktor zum Ziehen des Wagens herangezogen. Dies schien allen Mitgliedern eine vernünftige Lösung zu sein, auch wenn sich der Ersatz dieses Elements für den Vorstand und einige Vereinsmitglieder als bedauernswert erweist. „Gefahren“ wird der Weisertwecken stets für den Stammhalter einer Familie, also für den erstgeborenen Jungen. Im Falle des beschriebenen Brauchs hatte dieser zudem eine etwas ältere Schwester, d.h. nicht nur das ausschließlich erstgeborene Kind erhält den Wecken. Für Mädchen sei den Auskünften des Trachtenvereins-Vorstandes zufolge in der Vergangenheit bereits eine Ausnahme gemacht worden, wobei hier anstatt eines langen Weckens eine Torte gefahren wurde. Für gewöhnlich handelt es sich bei der im Voraus festgelegten Route um einen mehrere Kilometer langen Weg durch das Dorf. Dabei wird meist Halt bei den Wohnhäusern verschiedener Vereinsmitglieder gemacht. Somit ist an dieser Stelle das dörfliche Kollektiv bzw. die Öffentlichkeit stärker eingebunden. Je nach Wetterlage muss bzw. kann an dieser Stelle auch improvisiert und die Route somit verkürzt werden, wie es im Rahmen der beschriebenen Brauchausführung der Fall war. Dadurch, dass während einer längeren Fahrt bei passablem Wetter mehrere Passanten angetroffen und einige Häuser im Dorf angefahren werden, erhält die Brauchaktion ein deutlich höheres Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Dorfbewohner oder Passanten sollen also somit, wenn auch nur kurz und spontan, in das Brauchgeschehen eingebunden und ihrerseits zu Akteuren in diesem Rahmen werden.Entwicklungsgeschichte
Das Weisertweckenfahren ist im Allgemeinen den „Brauchformen um Lebenslauf und Familienstruktur“ (Seifert 2008: Zur Dynamik moderner Brauchpraxis, S. 152) zuzuordnen und wird heutzutage noch vereinzelt praktiziert. Was weiterhin die historische Genese des Begriffes sowie des Brauches an sich betrifft, können einige Grundlagen und Entwicklungsphasen festgestellt werden: Untersucht man den Begriff „Weisertwecken“ näher, stößt man auf das Verb „weisen“, das in seiner Bedeutung den Wörtern „schenken“ bzw. „gratulieren“ am nächsten kommt. Somit kann das Weisertweckenfahren einem Brauchkomplex zugeordnet werden, der durch die Überreichung von Geschenken bei besonderen Anlässen, wie z.B. Hochzeit, Taufe oder eben bei der Geburt, gekennzeichnet ist. Die „weisenden Personen“ (Seifert 2002: Weisertweckenfahren, S. 58) sind dabei Freunde, Bekannte und Nachbarn, wie es auch meist beim Weisertweckenfahren der Fall ist. Beim Weisen zur Geburt und/oder Taufe spielen die jeweiligen Paten sowie insbesondere die Frauen eine wichtige Rolle. Kurz nach der Geburt eines Kindes finden diese sich bei der Wöchnerin ein, um einen „Weisert“ zu veranstalten. Auch wenn im Laufe der Entwicklung dieser Brauchform die Gaben in Form von Lebensmitteln immer öfter anderen Geschenken, wie z.B. Kinderkleidung, Spielzeug, Geschirr, Decken und Ähnlichem gewichen sind, kann festgestellt werden, „dass das Weisen im Zusammenhang mit einem Neugeborenen traditionell an zwei Kernelemente gebunden ist: an die Paten und an Gebäcke aus Weißbrotteig“ (Seifert 2002, S. 58). Als frühesten Beleg für eine konkrete Überreichung eines Weisertweckens in der Region Rosenheim (Oberbayern) nennt der Kulturwissenschaftler Manfred Seifert einen Artikel in der „Heimatbeilage des Oberaudorfer Anzeigers“ (Seifert 2002: Weisertweckenfahren, S. 59) aus dem Jahre 1924, in dem berichtet wird, dass einer Kindsmutter von den Paten ein „Weisatwecken“ übergeben wurde. Darüber hinaus habe sich weiteren Brauchdokumentationen aus dieser Zeit zufolge seit den 20er-Jahren ein Grundmuster ausgebildet, das über Jahrzehnte hinweg bis in die Gegenwart unterschiedlich variiert und erweitert worden ist. Zunächst kommen gerade in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts weitere stilistische Elemente zur Durchführung, insbesondere bzgl. der Requisiten des Brauches, hinzu. Dabei wurde nun etwa des Öfteren eine Wäscheleine über den Wecken gespannt, an der weitere Gaben für das neugeborene Kind hängen. Das Verräumen des Weckens über eine Fenster- oder Balkontüre in den ersten Stock des Wohnhauses der Kindseltern kommt ebenfalls in dieser Zeit auf . In den 60er-Jahren ändert sich darüber hinaus in einigen Fällen das Transportmittel zum Ziehen des Weisertweckens. Die für diese Zeit alltäglichen Mittel zur Fortbewegung, wie etwa PKWs, Motorräder oder aber moderne Traktoren, werden nun oftmals u.a. von Pferdefuhrwerken mit sog. traditionellen „Leiterwägen“ (Holzwägen) oder durch Oldtimer-Traktoren abgelöst, die zu dieser Zeit bereits als „binnenexotische Besonderheiten“ (Seifert 2008, S. 152) zu betrachten sind. Was darüber hinaus die Organisation betrifft, ist festzuhalten, dass seit Mitte der 70er-Jahre neben dem jeweiligen Freundes- und/oder Nachbarschaftskreis der zu beschenkenden Familie einige Weisertweckenfahrten auch durch örtliche Vereine getragen werden. Auch was die Brauchteilnehmer und in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Geschlechtsspezifik betrifft, können vor allem die 80er-Jahre als wichtige Entwicklungsphase gesehen werden. Denn wenn bis dahin ausschließlich Männer als Brauchakteure fungierten und Frauen allenfalls für die Dekoration zuständig waren, werden seit den 80ern vereinzelt auch Weisertweckenfahrten von Frauen organisiert und durchgeführt – häufig auch in Zusammenhang mit der Geburt eines Mädchens. Somit kann der Brauch des Weisertweckenfahrens insgesamt „[...] eine rege Entwicklungsdynamik sichtbar werden lassen und dabei auch lebensstilgeprägte Differenzierungen aufweisen“ (Seifert 2008) sowie heutzutage als regional und individuell ausdifferenzierter, traditionsorientierter und gleichzeitig dynamischer Brauch wahrgenommen werden.Allgemeine Verbreitung
Der Brauch des Weisertweckenfahrens beschränkt sich im Wesentlichen auf den südlichen Teil Oberbayerns. Insbesondere im Landkreis bzw. in der Region um die oberbayerische Kleinstadt Rosenheim wurden seit Mitte der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts Weisertweckenfahrten dokumentiert und bis in die Gegenwart durchgeführt. Dabei fallen örtliche, auf einzelne Gemeinden bezogene Ausdifferenzierungen auf, insbesondere hinsichtlich zahlreicher Variantenbildungen in der Inszenierung während der Fahrt des Weisertweckens. Als Beispiel können an dieser Stelle theatralische Einlagen auf der Wegstrecke erwähnt werden. Dabei verkleiden sich bestimmte Personen etwa als „Amtsarzt“ und/oder Eltern des Kindes und begleiten den Weisertwecken-Zug mit schauspielerischen Einlagen.Wissenschaftliche Deutung
Das Weisertweckenfahren steht in enger Verbindung mit dem Lebenslauf einer Person und ihrer Familienstruktur. Somit kann zunächst die Brauchform bzw. der Brauchkomplex, dem das Weisertweckenfahren zuzuordnen ist, im wissenschaftlichen Kontext des theoretischen Konzepts der sog. Übergangsriten (frz. rites de passage), wie sie der französische Ethnologe Arnold Van Gennep im Jahre 1909 begründete, betrachtet werden. Bereits bei Van Gennep sollten Bräuche und Rituale hinsichtlich ihrer Bedeutung und Funktion im Kontext der Gesellschaft untersucht werden. Die Übergangsriten markieren somit Zeiten des Übergangs bzw. Schwellensituationen und dienen dabei zu einer Art der (Selbst-)Vergewisserung und Sicherheit – auch das Weisertweckenfahren kann an dieser Stelle als Brauch gesehen werden, der deutlich von verschiedenen Aushandlungs- und Verständigungsprozessen geprägt ist. Zum einen wird dabei der Weisertwecken übergeben, um den Stammhalter in die (Dorf-)Gemeinschaft einzuführen und kurz nach der Geburt in diese einzugliedern. Zum anderen soll die Wöchnerin in ihrem Zustand zwischen Schwangerschaft und Mutterdasein durch das Brot gestärkt werden und diese Schwellenphase überwunden werden. Und auch räumlich gesehen wird beim Weisertweckenfahren eine deutliche Schwelle bzw. ein Übergang markiert – beim Verräumen des Weckens über eine Balkon- oder Haustüre vom öffentlichen in den privaten Raum etwa. Zudem lassen sich bzgl. des Weisertweckenfahrens eine rituell überformte Art und Weise der kulturellen Praxis des Schenkens und die starke Symbolhaftigkeit einzelner Aktionsmuster und Elemente im Brauchgeschehen erkennen. In der volkskundlichen bzw. kulturwissenschaftlichen (Brauch-)Forschung sind an dieser Stelle u.a. die Arbeiten des Kulturwissenschaftlers Manfred Seifert zu nennen, der sich in zwei Aufsätzen wissenschaftlich mit dem Brauch des Weisertweckenfahrens auseinandersetzt. In seinen Ausführungen stützt er sich zum einen auf Ergebnisse einer teilnehmenden Beobachtung, die er bei einer Weisertweckenfahrt durchführte. Besonderen Wert legt Seifert darüber hinaus auf die wissenschaftliche Betrachtung der Planungs- und Vorbereitungsphase vor dem eigentlichen, offiziellen Praktizieren des Brauches. Dies verknüpft er schließlich mit zahlreichen Gesprächen mit Brauchteilnehmern. Der Untertitel einer seiner Aufsätze beinhaltet den vom Autor gewählten Begriff des kritischen Situationsberichts. Dies bedeutet Seifert zufolge, dass „[...] jenseits der glatten Oberfläche der Selbstdarstellung und jenseits der harmonisch-stimmigen Szenerie des Brauchablaufes“ (Seifert 2002, S. 51 f.) auch Problematiken, Fragestellungen und Schwierigkeiten bei der Vorbereitung und ggf. Abweichungen bei der Durchführung des Brauches mit einbezogen werden sollen. Für die Ausübung des Weisertweckenfahrens im Landkreis Rosenheim seit den 80er-Jahren zog der Wissenschaftler 25 Berichte aus der örtlichen Tageszeitung „Oberbayerisches Volksblatt“ heran, um ein grobes Brauch- bzw. Aktionsmuster herauszuarbeiten und dieses darüber hinaus mit seinen eigenen Beobachtungen in Verbindung zu bringen. Historisch nähert er sich dem Thema weiterhin, indem er das Weisertweckenfahren mit der Genese des Brauchkomplexes ums „Weisen“, also das Überbringen eines Geschenks zu besonderen Anlässen, in Verbindung bringt und darüber hinaus weitere vereinzelte Belege für Weisertweckenfahrten anführt. Was die gegenwärtige Erforschung des Weisertweckenfahrens betrifft, so verfolgt Seifert ausgehend von seinen Beobachtungen und Forschungsgesprächen eine „akteurzentrierte Untersuchung im lebensweltlichen Kontext“ (Seifert 2008, S. 157). Dabei thematisiert er u.a. den Wandel von Wertigkeiten in Bezug auf die Ausübung traditionsorientierter Bräuche, wie dem Weisertweckenfahren, in der Gegenwart und bringt diese in Verbindung mit unterschiedlichen Elementen (post-)moderner Lebensstile.Literatur
- Bimmer, Andreas: Brauchforschung. In: Rolf W. Brednicht (Hg.): Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin 1994(2), S. 375-395.
- Van Gennep, Arnold: Les rites de passage (1909). Deutsch: Übergangsriten. Frankfurt/M. [u.a.] 2005(2).
- Hager, Franziska/ Heyn , Hans: Liab, leb und stirb. Volksbrauch ums Heiraten, Kindlwiegn und die Ewige Ruh. Rosenheim 1976.
- Heres, Hedi: Kinder kriagn und Kinder wiagn. Brauchtum um Mutter und Kind in Bayern und seinen Nachbarländern. Dachau 1986.
- Seifert, Manfred: Weisertweckenfahren. Ein kritischer Situationsbereicht zum Brauchgeschehen der Gegenwart. In: Universität Passau/Lehrstuhl für Volkskunde (Hg.): Studientagung zur Kulturarbeit in Niederbayern an der Universität Passau. Nachrichten und Berichte, Sonderheft (23). Passau 2002, S. 51-82.
- Seifert, Manfred: Vereinbarungssache. Zur Dynamik moderner Brauchpraxis. In: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hg.): Schönere Heimat. Erbe und Auftrag (97/2008). München 2008, S. 149-158.