Vogelschießen in Glückstadt

Termin

Das Vogelpicken.
Dieser Brauch findet am 25.04.2024 statt.

Einstiegsinformation

Das Glückstädter Vogelschießen ist seit 1854 eine Tradition, bei der die Schüler der Glückstädter Grundschule (früher die Schüler aller Schulen) Königspaare und ein Kaiserpaar durch das Vogelpicken ermitteln. Es findet immer zeitnah vor dem Beginn der Sommerferien statt und erstreckt sich über zwei Tage- Freitag und Samstag. Das Vogelschießen (Vogelpicken) hat in Norddeutschland seinen Ursprung und wird heutzutage in dieser Form nur noch in Glückstadt gefeiert.

Ablauf

Vor dem Vogelschießen wird in den einzelnen Schulklassen Geld für Geschenke der Teilnehmer eingesammelt. Typische Preise sind z.B. Bücher, Federballspiele, Wasserbälle, Sommerspiele, Taschenlampen und nicht zu vergessen der Stutenkerl. Für das Kaiserpaar werden gravierte Uhren besorgt. Neben der Besorgung der Geschenke werden Fahnen, Adler aus Holz, Klassenschilder aus Holz und Blumenbügel für den Festumzug an die Kinder zum Schmücken verteilt. Während der Unterrichtszeit üben die Kinder mit ihren Lehrern die traditionellen Tänze und Lieder für das an den Festumzug anschließende Fest. Zusätzlich werden zur festlichen Kleidung Blumenkränze als Kopfbedeckung für die Mädchen gebunden. Während des gesamten Vogelschießens tragen die Mädchen Schleifen und die Jungen Rosetten und Schärpen in den jeweiligen Klassenfarben:
  • rot- weiß: 1. Klasse
  • blau- weiß: 2. Klasse
  • grün- weiß: 3. Klasse
  • dunkelblau: 4. Klasse

Das Vogelpicken

Teilnehmer beim Festzug.
Wegen der großen Schülerzahl wird das Vogelpicken auf zwei Tage aufgeteilt. Freitag früh werden die Königspaare der 1. und 2. Klassen ermittelt, am Samstag die Königspaare der 3. und 4. Klassen. Auf dem Schulhof werden die Schieß- Vorrichtungen aufgebaut. Es ist ein Gestell, an dem ein Eisenvogel mit einem spitzen Schnabel an zwei Seilen hängt. Dahinter werden Holzvorrichtungen mit einer Schießscheibe positioniert. Die Schüler stellen sich hinter dem Vogel auf. Sie zielen dann mit den aufgehängten Vögeln auf die Schießscheiben, dabei sind besonders die ruhige Hand und die gerade Zunge gefragt. Jedes Kind hat einen Probeschuss. Meistens sind nach drei Wettbewerbs- Durchgängen die Punktzahlen so zerstreut, dass der Sieger mit der höchsten Punkt-/Ringzahl ermittelt ist. Ist dies nicht der Fall, dann entscheidet bei gleicher Ringzahl der Vergleich der Einzelergebnisse von rückwärts. Wer also dann zuerst bei 9., 8., oder 7. Schuss ein besseres Ergebnis hat, der ist dann Sieger.

Das Kaiserschießen

Nachdem alle Königinnen und Könige ermittelt wurden, wird von allen Königspaaren der 4. Klassen das Kaiserpaar ausgepickt. Die Königspaare führen den gleichen Wettbewerb noch einmal durch. In den Klassen, aus denen die Kaiserin und der Kaiser kommen, steigt der zweite Platz dann auf den ersten Platz auf und ist somit König/ Königin. Die Sieger des Kaiserschießens erhalten jeweils eine rote Schärpe, die ein Emblem mit schwarzem Adler auf silbernem Grund trägt.

Siegerehrung

Von jedem Schüler werden die Punktzahlen errechnet. Jede Klasse sammelt sich samt Elternschaft direkt nach dem Schießen in ihrem Klassenraum und setzt sich im Stuhlkreis um den Tisch herum, auf dem die ganzen Geschenke verteilt sind. Königin und König werden bei der Siegerehrung mit einem Eichenkranz dekoriert und dürfen sich zuerst ein Geschenk ihrer Wahl aussuchen. Die Reihenfolge Preisverteilung hält sich an die Reihenfolge der Ringzahlen. Der letzte Platz bekommt einen Stutenkerl. Die Hintergründe dieser Tradition sind unbekannt.

Der Weckruf und Festumzug

Teilnehmer mit Schärpen.
Am Samstag des Vogelschießens wird die Stadt ab morgens um 6 Uhr durch die Musik des Glückstädter Spielmannzuges geweckt. Früher war das besondere Ziel des Spielmannzuges die Wohnungen und Häuser der Lehrer. An den besagten Wohnungen angekommen, wurde der Marsch des Spielmannzuges gestoppt und die Lehrkraft mit einem dreifachen Wirbel geweckt. Heute marschiert der Spielmannzug mit Musik durch die Innenstadt ohne Beabsichtigung speziell die Lehrer zu wecken. Nach der Ermittlung der Majestäten der 3. und 4. Klassen sammeln sich alle Schüler am frühen Nachmittag (ca. 14.00 Uhr) auf dem Glückstädter Marktplatz. Eltern, Lehrer, Schüler und mehrere Spielmannzüge aus der Umgebung treffen zusammen. Die Mädchen tragen ihre Schleifen, Blumenstäbe und Blumenkränze, dieJungs ihre Rosetten und Schärpen. Auch Holzvögel, befestigt an langen Stäben, werden von den Jungen mitgetragen. Auf das Kommando des Spielmannzuges stellen sich die Klassen hinter ihren Schildträgern auf- zuerst das Kaiserpaar, stehend unter der prächtigsten Krone, dann die einzelnen Klassen, angeführt durch das jeweilige Königspaar- und ziehen los. Die Königspaare laufen unter großen, geschmückten Kronen aus Eichenblättern, die, von ihren Mitschüler/innen getragen werden. Die anderen Kinder, in Dreiherreihen aufgestellt, tragen entweder einen Bügel aus Eichenblättern oder laufen selbst unter ihm. Immer wieder folgt nach wenigen Klasse ein anderer Spielmannzug, damit die Musik für alle Teilnehmer und Zuschauer dauerhaft ertönt. Der Umzug zieht durch die gesamte Innenstadt. Er beginnt auf dem Marktplatz, zieht durch den großen Schwibbogen, durch kleinere Straßen, am Fleth vorbei und endet in den Sälen und Lokalitäten, in denen das Fest gefeiert wird.

Tanz auf dem Festsaal

Selbst gebastelte Schärpe.
Die Teilnehmer und Eltern der Kinder des Vogelschießens werden mit Kaffee und Kuchen begrüßt. Während damals noch Lokalitäten, wie das Tivoli, ausgewählt wurden, findet heute das eigentliche Fest in der Mehrzweckhalle der Grundschule statt. Kleine Wettbewerbe wie Dosen werfen, Ringe werfen, Eierlaufen werden außerdem draußen für die Kinder angeboten. Danach ist es Zeit, dass die eingeübten Tänze und Lieder aufgeführt werden. Jedes Mädchen hat einen Jungen als Tanzpartner, mit dem es die traditionellen Tänze durchführt. Im Anschluss an die Volkslieder und -tänze wurde noch mit allen Schülern eine eingeübte Polonaise getanzt.

Tänze und Lieder

Die Lieder des Vogelschießens sind zum größten Teil traditionell auf Plattdeutsch. Hier sind einige Beispiele mit Text und Tanzanleitung: 1. Wenn hier en Pott mit Bohnen steiht Wenn hier en Pott mit Bohnen steit un dor ein Pott mit Brie/ denn lat ik Brie und Bohnen stahn un danz mit mien Marie/ denn lat ik Brie und Bohnen stahn un danz mit mie Marie. Un wenn Marie nich danzen kann, denn hett se schebe Been/ denn treckt se lange Kleeder an, denn is dat nich to sehn/ dann treckt sie lange Kleeder an, denn is dat nicht to sehn. Zu dieser Melodie gehen Junge und Mädchen paarweise hin und her. Beim Wenden machen die Mädchen einen Knicks und die Jungen einer Diener. Nach beiden Strophen fassen sich die Kinder an den Händen an und tanzen vor- und rückwärts um den Saal. 2. Ach lieber Schuster du Ach lieber Schuster du, flick du mir meine Schuh, die Schuh die sind entzwei, der Schuster macht sie neu.// Wer weet, wo dat noch warrn schall, wer weet, wo dat noch kümmt/ Wer weet, wer mi noch nehmen deit, wer weet, wer mi noch nümmt. Zu dieser Melodie hockt sie der Junge auf den Boden und das Mädchen stellt ihren Fuß auf das Knie des Jungen. Der Junge ahmt während der Melodie das Schuheflicken nach. 3. Mit den Füßen geht es trapp trapp trapp Mit den Füßen geht es trapp trapp trapp, und mit den Händen geht klapp klapp klapp./ Hübsch und fein, artig sein, sonst kommt Mutter mit der Rute rein./ Mit dem Köpfchen geht es nick nick nick, und mit dem Fingerchen geht es tick tick tick./ Ich trau dir, du traust mir, dreh dich um tanz mit mir. Zu dieser Melodie vertanzen die Teilnehmer den Text. Sie trampeln mit den Füßen, Klatschen mit den Händen, Nicken mit dem Kopf und tanzen dann paarweise umher. 4. Gah vun mi, Gah vun mi Gah vun mi, gah vun mi, ik mag di nich sehn/ Komm to mi, komm to mi, ik bün so alleen./ Fide ralla la la, fide ralla la la, kumm to mi, kumm to mi, ik bün so alleen. Zuerst wird der Partner mit einer abweisenden Armbewegung von den Mädchen weggeschickt. Dann lockt das Mädchen den nächsten Jungen mit dem Zeigefinger an und tanz eine Runde Polka.

Einmarsch und Schluss

Nach dem Fest ziehen die Kinder samt Bügel, Fahnen, Blumenstöcken usw. mit dem Spielmannzug zurück zum Marktplatz. Dort trennen sich dann die Teilnehmer, Lehrer und Zuschauer des Vogelschießens. Zum Abschluss spielt der Spielmannzug noch ein kleines Abschlusskonzert, das meistens mit einem Marsch unter Stabführung beendet wird (vgl. Höppner, 70f.).

Hintergrund-Infos

Zur Stadt Glückstadt

Glückstadt liegt in Schleswig- Holstein (Kreis Steinburg) an der Unterelbe und ist Teil der Metropolregion Hamburg. Knapp 12.000 Einwohner leben dort. Die Kleinstadt ist bekannt für seine traditionsreiche Matjes- Produktion. Auch viele Besucher aus Niedersachsen finden schnell den Weg nach Glückstadt, da die Elbfähre zwischen Glückstadt und Wischhafen die Elbmarschen Schleswig- Holsteins mit Niedersachsen verbindet. 1617 war das Geburtsjahr Glückstadts. Dänenkönig Christian IV. erbaute die Stadt, um eine Konkurrenz zu Hamburg zu schaffen. Glückstadt sollte eine Hafen- und Festungssstadt werden. Seinen Namen hat Glückstadt einem Zitat des König Christians IV. zu verdanken: Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten! (Das soll glücken und das muss glücken, und denn soll sie auch Glückstadt heißen.)

Entstehung und Wandel des Vogelschießens

Das Vogelschießen hat in Glückstadt seit über 150 Jahren Tradition und wurde bis auf wenige Ausnahmen jedes Jahr gefeiert; in den Kriegs- und Nachkriegsjahren 1915-1919 und von 1940- 1949 und im Umzugsjahr der Schulen 2007 fiel das Fest aus. Bis in die 70er Jahre feierten alle Schulen das Vogelschießen. Die Oberstufenschüler praktizierten das klassische Vogelschießen mit einer Armbrust, weshalb sich der Name des Vogelschießens bis heute durchgesetzt hat. Heute gibt es nur noch das Vogelpicken für die 1. bis 4. Klassen. Der Ursprung des Vogelschießens liegt in ferner Vergangenheit. Nach der Gründung Glückstadts im Jahre 1617 wurde hinter den Festungsmauern eine Bürgerwehr aufgestellt. Alle Männer der Stadt waren dazu gezwungen, ihr beizutreten. Schießen und Verteidungstechniken machten den Alltag aus. Die Jungen fanden die Tätigkeiten ihrer Väter in der Bürgerwehr so interessant, dass sie selbst begonnen haben zu exerzieren- zuerst mit Besenstielen, später mit Pfeil und Armbrust. Die Jungen haben sich in Wettbewerben gemessen und marschierten dafür aus der Stadt zur Störmündung, um dort das erste Vogelschießen abzuhalten.

Eindrücke des Vogelschießens und Erinnerungen

Susann, 50: Für mich war das Vogelschießen sehr wichtig. Man wusste auch, dass die Sommerferien vor der Tür standen. Am besten hat mir der Umzug durch die Stadt gefallen. Martina, 48: Das Wetter war immer gut. Ich bekam immer etwas hübsches zum Anziehen. Am Nachmittag war immer mindestens ein Elternteil dabei. Die Sommerferien waren bald. Marion, 45: Schon die Vorbereitungszeit in der Klasse war aufregend. Das Vogelschießen bildete den Abschluss des Jahres vor den Sommerferien. Ich habe mich sehr auf das Fest gefreut. Ich war stolz durch die Straßen gehen zu dürfen und die Leute schauten zu. Musik und Menschen füllten die Stadt. Alles war geschmückt und festlich. Der Tanz mit Spielen hat Spaß gemacht. Alle hatten gute Laune. Besonders aufregend war es, wenn wir mit dem Bus zum weißen Bären [ehemalige Lokalität des Vogelschießens] gefahren sind. Es ist ein traditionelles Kinderfest in Glückstadt, dass auch die alten Menschen mit Freude erfüllt und für das noch heute Geld an der Haustür gesammelt wird. Man gibt gern. Eine schöne Tradition über Generationen. Ingeborg, 53: Für mich persönlich und auch für viele andere Kinder war es ein schöner Tag. Die Straßen waren voll mit Eltern, Großeltern, Familie und Freunden. Ich fand es toll unter Begleitung der vielen Musikzüge und natürlich winkend durch die Straßen zu laufen. In der 3. und 4. Klasse hat man sich natürlich mit drei Mädchen einen Blumenbügel geteilt und natürlich versucht, sooft wie möglich unter dem Bügel in der Mitte zu laufen. Der Tag hat immer viel Spaß gemacht. Es war für mich keine lästige Pflicht.

Gewährspersonen

  • Teilnehmer des Vogelschießens, 1970- 2014
  • Direktorin der teilnehmenden Schule des Vogelschießens
  • Verfasser des Artikels (selbst Teilnehmer des Vogelschießens)

Weblinks

Literatur

  • Höppner, Heinz: Das Glückstädter Vogelschießen. Ein Schul- und Volksfest im Wandel der Zeiten. Glückstadt 1986.
  • Franck, Uta: In dem Land zwischen zwei Meeren. 2011.

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