Turamichele in Augsburg

Termin

Turamichele aus dem 17. Jahrhundert, von Christof Murmann erstellt.
Dieser Brauch findet alljährlich am 29. September statt.

Einstiegsinformation

Das Augsburger Turamichele ist eine hölzerne St.Michaels-Figur, die einmal im Jahr, am 29. September, dem Michaelitag, an einem Fenster des Perlachturmes erscheint und mit dem Glockenschlag auf eine Satans-Figur einsticht. Seit den 1950er Jahren spielt sich rund um das Geschehen am städtischen Wahrzeichen ein "Turamichele-Fest" ab.

Ablauf

Am Perlachturm, neben dem Rathaus das große Wahrzeichen im Zentrum der Stadt Augsburg, gibt es eine Fensternische, in der am Michaelstag, dem 29. September, zu jeder vollen Stunde eine Michaelsfigur mit einem roten Teufel zu ihren Füßen erscheint. Dann wird die Mechanik der Figur bewegt, und der Heilige Michael sticht mit einer Lanze auf den Teufel ein. Das Fenster ist zu diesem Tag mit Blumenschmuck umrandet. Seit den 1970er Jahren findet zu diesem Anlass jährlich auch ein großes Fest mit Kinderbelustigung statt. Das Fest dauert einige Tage an und beinhaltet neben dem Schauspiel des Turamicheles auch andere Kinderattraktionen. So sind zum Beispiel Malwettbewerbe, Drachenbacken, das Vortragen von Turamichele Gedichten, das Singen des Turamichele-Lieds, Schminken und viele andere Turamichele Spiele nicht mehr vom Fest wegzudenken. Seit 2001 existiert ein offizielles Turamichele-Lied. Dieses Lied wurde schon mehrfach auf CD aufgenommen. Zu jeder Stunde wird das Lied nach dem Auftritt des Turamicheles abgespielt und von unzähligen Kindern mitgesungen. Die Meldoie ist die des bekannten Volksliedes "Auf der Mauer, auf der Lauer ..." und auch wie in diesem Volkslied wird bei jeder Strophe des Turamichele-Liedes der Text durch Wegfallen der letzten Buchstaben verkürzt. Erste Strophe des Turamichele-Lieds:
Das Turamichl, das Turamichl, das gibt dem Teufel viele Stichl. Das Turamichl, das Turamichl, das gibt dem Teufel viele Stichl. Schaut eucht mal das Michl an, wie das Michl stichl kann. Das Turamichl, das Turamichl. das gibt dem Teufel viele Stichl.
Trotz des riesigen Spektakels auf dem Rathausplatz, wird in einem gewissen Rahmen darauf geachtet, das Brauch unkommerziell und so traditionell wie möglich durchzuführen. Das Turamichele Fest zieht jedes Jahr etwa 100.000 Besucher an. Ein weiterer Brauch an diesem Tag sind die "Augsburger Friedensgrüße". Zu jeder neuen Stunde des 29. Septembers werden Luftballons mit Friedensbotschaften in die Luft entlassen. Diese "Augsburger Friedensgrüße" fliegen bestenfalls etliche Kilometer weit. Die erfolgreichsten "Friedensgrüße" gelangten aber sogar nach England und Griechenland.

Das Turamichele-Fest

Turamichele von 1949, mit dem heute üblichen Blumendekor.
Im Jahre 1951 fand in Augsburg der deutsche Katholikentag statt. Hierbei erhielt das Turamichele noch mehr Besucher als sonst, da Gäste aus ganz Deutschland nach Augsburg reisten. Das Turamichele erhielt soviel Beifall, dass es gleich zwei Mal erschien und sein Schauspiel zeigte. Ab diesem Jahr wurden zusätzlich zum Stechen des Turamicheles weitere Programmpunkte eingeführt, die einfache Vorführung der mechanischen Figur zu einem aufwändigen städtischen Brauch ausgestaltet. Am Vorabend von Michaeli spielten Bläser Turmmusik. Die Straßenbahn verkehrte für die Zeit des Auftritts nicht, damit die Zuschauer ungestört das Schauspiel begutachten konnten. Beim Turamichele-Fest 1953 wurde das erste Mal das Fenster des Erzengels mit Blumen verziert. Im Laufe der Jahre wurde aus dem Blumenschmuck das Wappen Augsburgs nachgebildet. 1971 erhielt das Fest erneut Aufschwung, nach Jahren des immer stärkeren Rückgangs. Einige Geschäfte schlossen sich zur "Aktionsgemeinschaft Augsburg" zusammen, um das Fest zu beleben. In den Jahren zuvor war der sonst immer stattfindende Michaelimarkt verschwunden. Dafür gab es nun verschiedene Stände zum Basteln und Malen, Karussells, und etliche Turamichele-Attraktionen zu kaufen, wie zum Beispiel Turamichele-Lebkuchen oder Turamichele-Einkaufstüten. Die Hauptattraktion war die Turamichele-Straßenbahn, die als Drachen verkleidet durch die Stadt fuhr. Sie wurde angefertigt vom niederländischen Grafiker Lambert van Bommel. Heutzutage wird der Turamichele-Brauch als Kinderfest begangen. Jedes Jahr zum Turamichele-Fest: ein großes Spektakel auf dem Rathausplatz.

Hintergrund-Infos

Geschichte der Michaelsfigur

Die erste schriftliche Überlieferung, die über das Turamichele existiert, stammt aus einer Familienchronik des Jahres 1616. Die Spielfigur wurde in Zusammenarbeit des Augsburger Schreiners Christoph Murmann und des Uhrenmachers Hans Schlimm in diesem Jahr gefertigt. Das Werk Murmanns zeigte den Erzengel Michael, aus Holz gefertigt, der mit Stoffbekleidung gekleidet war. Die Figurengruppe war ursprünglich etwa 1,60 Meter hoch. Das Turamichele war - im Gegensatz zum Teufel, der nur aus Holz bestand - mit Stoffen bekleidet. Es trug weißgrüne Kleidung und einen Messingkranz auf dem Kopf. Das Uhrwerk war unter der Figur angebracht, und so wurde das Turamichele mechanisch betrieben. Allerdings war es nicht vollmechanisch, das Michele konnte zwar ohne den Eingriff menschlicher Hilfe den Satan erstechen, jedoch erschien es nicht von selbst an seinem Fenster. Hierzu wurden immer Menschen benötigt, die den Erzengel aus dem Fenster schoben. Turamichele aus dem 17. Jahrhundert, von Christof Murmann erstellt.

Bedeutung für die Stadt

Jedes Jahr zum Turamichele-Fest: ein großes Spektakel auf dem Rathausplatz.
Dem Stechen wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten Bedeutungen zugeschrieben. Es soll symbolisch für die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse gestanden haben, zwischen Christentum und Heidentum, oder sogar zwischen dem katholischen und dem lutheranischen Glauben. An Michaeli fand üblicherweise ein Markt statt, und das Stechen der mechanischen Figur dürfte so wohl reichlich Publikum gehabt haben, das jeweils zeitgemäße Deutungen dafür fand. Im Jahre 1806 wurde die Reichsstadt Augsburg in das Königreich Bayern eingegliedert. Somit übernahm die bayerische Regierung in Augsburg die Macht. Sie ließ 1806 das Stechen des Turamichele verbieten. Das Stechen und das Aufsehen, dass es erregte, erschien im Sinne der Aufklärung als unwürdig und albern, so die Begründung der Regierung. Das Verbot hielt sich bis ins Jahr 1822, erst dann durfte die Mechanik wieder betätigt werden. Hierzu wird erzählt, dass in der Bevölkerung Augsburgs die Teufelsfigur mit der ungeliebten Regierung in München gleichgesetzt wurde. Die Stiche des Turamicheles, des Beschützer Augsburgs, sollten der Obrigkeit des bayerischen Königreichs gelten, das sich die freie Reichsstadt Augsburg einverleibt hatte.

Sagen

Der Heilige Michael gilt der Sage nach als Beschützer der Stadt Augsburg. Ausgelöst durch die heute beim Turamichele-Fest fahrende Drachen-Bahn kam die Frage auf, ob das Turamichele auf einen Drachen oder Teufel einsticht. Nach der Augsburger Stadtsage beschützt St. Michael die Augsburger nämlich vor einem Drachen. Man kommt in dieser Frage jedoch nicht leicht zu einer eindeutigen Meinung, denn die Figur steht ziemlich weit oben und so spricht man heute auch vom "Teufelsdrachen". Die von dem Baumeister Elias Holl Anfang des 17. Jahrhunderts auf den von ihm neugestalteten Perlachturm aufgesetzte Figur der "Stadtgöttin Cisa" wurde ebenfalls in Sagen um das Turamichele eingebaut: Sie soll in vorchristlicher Zeit den Platz des Turamicheles innegehabt haben, bevor das Turamichele seinen Platz im untersten Fenster des Perlachturms einnahm. Im Jahre 1526 sei die heidnische Figur durch eine des katholischen Erzengel Michael ersetzt worden. So ließe sich sagen, dass das Turamichele mindestens seit dem Michaelitag des Jahres 1526 existiere. - Das ist nicht einmal gut erfunden. Der Wachturm wurde erst kurz vor 900 erbaut und zu dieser Zeit gab es in Augsburg schon einen Bischofssitz. Die "Stadtgöttin" kann durchaus eine Erfindung der Renaissancezeit sein, in der sich Künstler für Allegorien und Anleihen aus der Antike begeisterten.

Das Turamichele im 20. Jahrhundert

Während des Dritten Reiches wurde das Turamichele in die NS-Propaganda miteinbezogen. Genauso, wie der Perlachturm mit Hakenkreuzfahnen versehen wurde, erhielt auch der Speer des Turamicheles ein Hakenkreuz. Im Zweiten Weltkrieg, in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 erlitt Augsburg den schwersten Bombenangriff, bei dem sowohl das Rathaus als auch der Perlachturm schwer getroffen wurden. Das Turamichele selbst erlitt leichte Verbrennungsschäden, wurde aber – so berichteten Augenzeugen -- von Personen, die auf der Suche nach Brennholz waren, mitgenommen und dann vermutlich verbrannt. Ein Jahr nach Kriegsende erteilte die amerikanische Besatzungsmacht die Erlaubnis, den Brauch wieder einzuführen. Bis 1949 wurde das Stechen allerdings von Schauspielern des Augsburger Stadttheaters auf einer kleinen Bühne vor dem Perlachturm ausgeübt, da die Figur ja nicht mehr existierte. 1949 kam es schließlich zur Anfertigung einer neuen Michaelisfigur, die am Turm angebracht wurde. Sie stammt von dem Künstler Karl Hoefelmayr. Das Turamichele, das nach dem Zweiten Weltkrieg am Perlachturm angebracht wurde, war nicht mechanisch oder mit dem Uhrwerk des Perlachturms verbunden. Es wurde über Schienen geleitet und mit Stöcken per Hand geführt. Das Stechen des Michels war demzufolge komplett von Menschenhand erzeugt worden. Das Stechen, das auf diese Art und Weise entstand, war allerdings nur eine sehr zaghafte Bewegung. Das Einstechen auf Satan war kaum sichtbar für die Zuschauermenge. Im Jahre 1952 bewegt sich die Figurengruppe durch ein Missgeschick gar nicht mehr. Abhilfe sollte der Gründer der "Augsburger Puppenkisten", Walter Oehmichen, schaffen. Durch seine Raffinesse konnte das Turamichele bald wieder kräftig auf Satan einstechen. Die Mechanik, die Oehmichen einbaute musste immer von zwei Helfern betrieben werden. Diese Halbmechanik bewegt das Turamichele bis heute, eine Vollautomatisierung des Augsburger Brauches wäre zu kostspielig.

Literatur

  • Winkler, Gerd: Turamichele. Geschichte und Geschichten einer liebenswerten Augsburger Besonderheit. Augsburg 2006.
  • Fuchshuber, Annegret/Emmerich, Elisabeth: Hallöle sucht das Turamichele. Augsburg 1984.
  • Saur, Centa K.: Turamichele's unheilige Abenteuer. Wuppertal 1948.

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