Yaume dithnichto

Termin

Geschmücktes Grab.
Der Brauch findet alljährlich am zweiten Osterfeiertag (Ostermontag) statt. Nachdem die syrisch-orthodoxe Kirche Ostern nach der nicht-reformierten julianischen Methode berechnet wird, weicht das Osterdatum von dem des Gregorianischen Kalenders normalerweise ab.

Einstiegsinformation

Alljährlich am Ostermontag nach dem Julianischen Kalender findet Yaume dithnihto [gespr.: jaumo danjochto], sinngemäße Übersetzung: ruhender Tag, Tag der Verstorbenen, das Totengedenken der syrisch-orthodoxen Christen in Augsburg auf den Friedhöfen statt. Die syrisch-orthodoxe Kirche gedenkt ihrer Verstorbenen im Rahmen des Osterfests. Hierbei versammeln sich im Anschluss an den Gottesdienst des Ostermontags die Angehörigen der Toten auf dem Nordfriedhof Oberhausen sowie dem Ostfriedhof Lechhausen in Augsburg am Grab und bringen Speisen (in Augsburg z.B. Eier und Süßigkeiten) mit. Die Priester besuchen mit dem Ministranten jedes Grab und sprechen dort ein Gebet. Die mitgebrachten Speisen werden verschenkt und verzehrt. Anschließend wird das nächste Grab besucht, die Angehörigen schließen sich an, so dass der Zug sukzessive länger wird. Im Anschluss daran besuchen sich die Angehörigen der Familie untereinander daheim oder treffen sich im Gemeindesaal der syrisch-orthodoxen Gemeinde und feiern zusammen. Als Regel findet Ostern nach dem ersten Frühlingsvollmond statt. Nachdem aber zwischen gregorianischem und julianischem Kalender eine Differenz von 13 Tagen ist, kann Ostern nicht am selben Tag gefeiert werden. Weiterhin besteht in der Ostkirche die Regel, dass Ostern nicht vor dem jüdischen Pessachfest liegen darf. Das Datum des Pessachfests wiederum liegt im Frühlingsmonat des Jüdischen Kalenders. Daher kann Ostern nur dann auf denselben Tag fallen, wenn das julianische Ostern 13 Tage vor dem gregorianischen Ostern liegt, wie dies z.B. im Jahr 2014 der Fall ist (der 7.April julianisch ist gleich dem 20. April gregorianisch).

Ablauf

Ablauf mittels Zeitstrahl.
Die folgende Dokumentation bezieht sich auf die Beobachtung am Montag, den 6.Mai 2013 auf den beiden Augsburger Friedhöfen Nordfriedhof (Stadtteil Oberhausen) und Ostfriedhof (Stadtteil Lechhausen). Es war ein sonniger, windruhiger Frühlingstag bei 20°C. Die Begehung der Gräber fand im Anschluss an den Ostermontagsgottesdienst (8.00 - 9.30 Uhr) der syrisch-orthodoxen Kirche in Lechhausen statt. Versammelt waren ca. 300 Angehörige, die jeglicher Altersgruppe angehörten, von Kleinkindern über Schüler, Erwachsene und Senioren. Etwas weniger vertreten waren Erwachsene (insbesondere männliche Vertreter), die auf Nachfrage hin bei der Arbeit waren. Auf dem Friedhof waren die Motoren von Rasenmähern und Heckenscheren der Friedhofspfleger zu hören, es war jedoch nicht zu aufdringlich. Ebenso pflegten einige andere Bürger die Gräber ihrer Angehörigen. Die Gräber der syrisch-orthodoxen Christen befinden sich alle auf einem Territorrium südlich der Friedhofskapelle zentral auf dem Friedhof. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ein ehemaliger Friedhofswärter der syrisch-orthodoxen Gemeinde Augsburgs angehört und so bei der Grabauswahl behilflich sein konnte. Die Stimmung unter den Gemeindemitgliedern war gelassen und fröhlich, es herrschte reges Treiben, da man sich gegenseitig begrüßte, die Gräber dekorierte und begutachtete. Viele Familienmitglieder trafen sich wieder. Gegen 10.15 Uhr waren die beiden Priester eingetroffen und begannen mit der Brauchausübung (angekündigter Beginn laut Gemeindeprogramm 10.00 Uhr).

Vorbereitungsphase

Ab ca. 9.30 Uhr versammeln sich die Angehörigen der Verstorbenen an den Gräbern, um diese vorzubereiten, indem sie gesäubert und mit den mitgebrachten Speisen dekoriert werden. Ebenso begrüßen sich die Familien und Bekannten oder die einzelnen Angehörigen eines Verstorbenen, wenn diese aus unterschiedlichen Haushalten stammen. Die Vorbereitungsdauer endet mit der Ankunft der Priester. Offiziell laut Gemeindeprogramm33 beginnt die Segnung der Gräber um 10.00 Uhr, jedoch verspäten sich die Priester, da der Gottesdienst im Vorhinein bis 9.30 Uhr gedauert hat, sodass erst gegen 10.15 Uhr begonnen werden kann.

Hauptaktion

Die Priester treten in Begleitung eines Ministranten an das Grab, und die Angehörigen werden begrüßt. Ein Priester legt Weihrauch in das Weihrauchfass des Ministranten ein. Dieser schwenkt das Weihrauchfass, das mit kleinen Glocken versehen ist, während der liturgischen Zeremonie. Die Priester sprechen zusammen ein Gebet, das den göttlichen Segen des Verstorbenen erbittet und dass er in Frieden ruhen möge. Im Anschluss daran wird ein gemeinsames Vater-Unser mit den Angehörigen gebetet, das mit dem Kreuzzeichen endet. Ebenso zeigt ein Priester ein Kreuzzeichen auf den Grabstein. Abschließend probieren die Priester als erste von den mitgebrachten Speisen, die anderen Beteiligten folgen ihnen. Hierbei unterhalten sich alle untereinander. Diese Phase dauert an jedem Grab ca. 2-4 Minuten. Im Anschluss daran begeben sich die Priester und der Ministrant an das nächste Grab, wo die Zeremonie wiederholt wird. Unterschiede können sich ergeben, dass nicht jedes Mal Weihrauch nachgelegt wird, ebenso können die Priester nicht an jedem Grab aufgrund der Anzahl der Gräber etwas köstigen. Eigentlich sollten die Angehörigen der Gräber, die bereits besucht wurden, den Zug begleiten, jedoch tritt dies lediglich vereinzelt auf, z.B. wenn sie einen weiteren Verstorbenen besuchen.

Beendigung

Sobald die Priester mit dem Besuch der Gräber fertig sind, verlassen sie den Friedhof. Die Angehörigen verlassen nach Belieben die Veranstaltung, manche früher, weil sie z.B. wieder zur Arbeit gehen, manche, weil ihr Grab bereits gesegnet wurde, andere bleiben noch, um sich mit Familienmitgliedern oder Bekannten zu unterhalten. Vor Verlassen des Grabes, werden die restlichen Speisen wieder eingepackt und eventuelle Abfälle (z.B. Eierschalen, Servietten,...) beseitigt. Im Anschluss daran treffen sich viele Familien, um nochmals gemeinsam zu Hause zu feiern. Manchmal versammeln sich auch einige im Gemeindesaal der syrisch-orthodoxen Kirche im Industriegebiet Lechhausen, nicht jedoch 2013.

Weitere Handlungen

Abgelegte Armbänder am Grab.
Neben der Hauptzeremonie sind noch weitere Handlungen zu beobachten: Die Kinder sammeln von den Gräbern Süßigkeiten und Snacks und verstauen sie in den mitgebrachten Taschen und Tüten. Angehörige legen ein Band am Tag „Verkündigung des Herrn“ ( 25.März) an das Handgelenk an. Dieses besteht aus einem roten und einem weißen Faden. Am Totengedenktag wird dieses Band mit einem Messer durchtrennt und dann in der Nähe des Grabes an einem Baum oder am Grab selbst an einem Gegenstand, wie zum Beispiel einer Statue festgebunden bzw. vergraben. Dieser Brauch hat folgende Bewandnis: Das Rot steht für die Geistlichkeit, das Weiß für die Menschlichkeit Jesu. Je mehr Bänder an einem Grab sind, umso mehr zeigen die Familienangehörigen, wie sehr sie dem Toten verbunden waren und sie ihm nach wie vor gedenken.

Akteure

An der Brauchausübung sind sind zwei Personenkreise beteiligt: Zum einen die Hauptakteure, bestehend aus den beiden Priestern und ihrem Ministranten, zum anderen aus den Angehörigen der Verstorbenen. Als weitere unbeteiligte Gruppe sind Friedhofsbesucher und Arbeiter des Friedhofs zu erwähnen.
Hauptakteure:
Priester: Die beiden Priester sind von der syrisch-orthodoxen Kirche in Augsburg. Eigentlich sind dort vier Priester tätig, jedoch ist für die beiden anderen aufgrund eingeschränkter Gehfähigkeit der Besuch der Gräber nicht möglich. Die Priester sind ungefähr 60 bis 70 Jahre alt, haben einen Vollbart und tragen schwarze Kleidung und eine bunte Stola. Sie sind diejenigen, die den Ablauf des Brauchs bestimmen und ihn in Bezug auf die liturgische Handlung hauptsächlich ausüben.
Ministrant: Der Ministrant, ein Junge in jugendlichem Alter, begleitet als Gehilfe und zusätzliche Aufwertung des Zugs die Priester. Er hat ein Messgewand an. Durch das Tragen und Schwenken des Weihrauchfasses erhält die Zeremonie eine feierliche Aufwertung aufgrund des weißen Rauchs und des ausströmenden Duftes.
Angehörige der Verstorbenen: Hierbei muss in der Anzahl unterschieden werden: Auf dem Nordfriedhof kamen ca. 150-200 Personen, auf dem Ostfriedhof ca. 80-100. Sie sind festlich gekleidet. Es sind Personen jeder Altersgruppe vertreten. Kleine Kinder, Schulkinder, junge Erwachsene und Erwachsene mittleren Alters und Senioren. Bezüglich der Geschlechterverteilung ist der Anteil der Frauen etwas höher, da einige Männer arbeiten müssen. Die Teilnahme der Schulkinder ist dadurch möglich, dass sie für die Brauchausübung eigens eine Befreiung von der Schule bekommen haben.Diese Gruppe nimmt an der Brauchausübung teil, sie ist jedoch in der liturgischen Handlung eher passiv involviert (ausgenommen das Mitsprechen des Vater-Unser-Gebets und des Kreuzzeichens), was jedoch nicht heißen soll, dass sie nicht mental beteiligt wären. Ebenso tragen sie Sorge für die Vorbereitung (Gräber, Speisen), das Anbieten der Speisen und das Aufräumen im Nachhinein. Diese Aufgaben werden vor allem von den Frauen ausgeübt. Zudem werden die Nebenhandlungen von den Kindern bzw. von den Angehörigen vorgenommen.
Weitere, unbeteiligte Personen: Der Vollständigkeit wegen sollen zwei weitere Personenkreise erwähnt werden. Dies sind zum einen Friedhofsbesucher (vornehmlich Senioren), die anderen Religionen angehören und zufällig zur selben Zeit die Gräber ihrer Angehörigen besuchen oder pflegen. Sie nehmen das besondere Geschehen zur Kenntnis und wundern sich vielleicht etwas, lassen sich deswegen jedoch nicht in ihrem Tun beeinflussen. Für sie ist die Situation vergleichbar mit einem Begräbnis, allerdings stören die Speisen und die heitere Stimmung das Bild. Zum anderen sind Arbeiter des Friedhofs zugegen, die sich mit dem Schneiden von Hecken und Rasenmähen (Nordfriedhof) oder dem Ausheben eines Grabes (Ostfriedhof) beschäftigen. Im zweiten Fall spielt das Ausheben des Grabes keine Rolle, die Baggerarbeiten sind bereits beendet.

Veranstaltungsort

Nordfriedhof in Augsburg.
Das Ausüben des Brauchs in Augsburg findet auf zwei verschiedenen Friedhöfen, dem Nordfriedhof in Oberhausen und dem Ostfriedhof in Lechhausen statt. Dies resultiert daraus, dass die Toten der syrisch-orthodoxen Kirche in Augsburg auf diesen beiden Friedhöfen begraben sind (Ausnahme: Zwei Tote auf dem Westfriedhof). Auf dem Friedhof in Oberhausen liegen die Gräber konzentriert auf einem Areal (Felder 22, 30-32) von ca. 1 Hektar, südlich an die Aussegnungshalle angrenzend. Dieser Umstand ist einem ehemaligen Friedhofsmitarbeiter zu verdanken, der der syrisch-orthodoxen Kirche in Augsburg angehört. Die ca. 25 Gräber befinden sich, wie der übrige Friedhof, in einem halbschattigen bis sonnigen Licht, da vereinzelt Bäume gepflanzt sind. Die Schritte der Personen sind kaum zu hören, da die Wege zu den Gräbern aus Gras bestehen - abgesehen von den Hauptwegen. Wie bereits erwähnt, werden in einer Entfernung von ca. 150 Metern von Friedhofsmitarbeitern Hecken geschnitten und die Graswege gemäht, sodass der Lärm der Maschinen bei der Bruchausübung hörbar ist, jedoch nicht als massive Störung bezeichnet werden kann. Auf dem Ostfriedhof in Lechhausen sind die ca. 15 Gräber auf den gesamten Friedhof verteilt, sodass der komplette Friedhof abgegangen werden muss. Der Friedhof besteht überwiegend aus Kieswegen, sodass herannahende Personen zu hören sind. Ebenfalls wahrnehmbar ist der Verkehr, der auf den angrenzenden Straßen vorbei fährt und durch die nicht allzu sehr ausgeprägte Bepflanzung wenig gedämmt wird.

Brauch- und Rollenverständnis

Ostfriedhof Augsburg.
Der Brauch des Yaume Dithnichto wird als der Tag in der syrisch-orthodoxen Kirche angesehen, an dem der Verstorbenen gedacht wird. Das Gedenken eines unmittelbar Verstorbenen wird hier zunächst an bestimmten Tagen, am 3., 7., 12. und 30. Tag sowie 1 Jahr nach dem Sterbetag begangen, und findet dann allgemein für alle Verstorbenen am Ostermontag statt. Es ist also somit vergleichbar mit Allerseelen in der katholischen Kirche. Warum hierfür im Rahmen des Osterfestes gedacht wird ist einleuchtend. An Ostern ist Jesus von den Toten auferstanden, und genau so sollen die Verstorbenen, derer gedacht wird, auferstanden sein und nun bei Gott sein. Der Tag wird verstanden als Tag, an dem die Toten Ruhe haben und die Mitglieder, die ihrer Verstorbenen gedenken, sollen den Tag als Tag des Wachseins begehen, so dass ausreichend Zeit hierfür eingeräumt wird. Die Priester handeln, wie in vielen Zeremonien der christlichen Kirche, als Nachfolger Christi und als Vermittler zwischen den Gläubigen und Gott. Sie übernehmen die seelsorgerische Leitung der Gemeinde. Bei diesem Brauch erbitten sie stellvertretend für die Gemeinde um den Segen Gottes für die Verstorbenen. Der Ministrant ist als Helfer der Priester zu verstehen, der den Weihrauch schwenkt, so dass diese Aufgabe nicht durch die Priester erfüllt werden muss.

Organisation der Brauchveranstaltung

Die Organisation des Brauchs liegt allein in der Hand der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Augsburg. Sie wird im Programm des Kirchenrats (s. u.), das in der Kirche ausliegt und verteilt wird, angekündigt. Für die Segnung der Gräber ist keine Genehmigung durch die Stadt Augsburg erforderlich, sie ist wie ein normaler Friedhofsbesuch zu den regulären Öffnungszeiten zu werten.

Hintergrundinformationen zu den syrischen Christen

Programm zum Totengedenken.
Die syrischen Christen stammen von den Aramäern ab, die eine lange Geschichte aufweist und insbesondere in der vorchristlichen Zeit eine Großmacht darstellte. Noch heute ist ihre Sprache das Aramäische (Syrische), eine Sprache die Jesus selbst gesprochen hat und worauf die Syrer bis heute stolz sind. Als eine der ersten Gruppen nahm ein Großteil der Syrer den christlichen Glauben bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. an. Dies geht auf das Patriarchat von Antiochien zurück, das vom Apostel Petrus gegründet wude. Der von 37-44 erster Bischof gewesen soll. Aufgrund mehrerer Aufspaltungen bildeten sich im Laufe der Jahrhunderte mehrere Konfessionen heraus, wobei heute überwiegend die syrisch-orthodoxe Kirche unter den Syrern vorherrscht. Diese gehört zu den orientalischen orthodoxen Kirchen, die die Beschlüsse des Konzils von Chalkedon (451) ablehnen. Das Siedlungsgebiet der Syrer wechselte im Laufe der Jahrhunderte. Unter der Herrschaft der Araber erreichte die syrisch-orthodoxe Kirche ihre Blütezeit (7.-9.Jh. und 12.-13.Jh.). Dem Patriarchen unterstanden 20 Kirchenprovinzen und ca. 100 Bischöfe. Unter dem Islam galten sie als „Schutzbefohlene“, weshalb sie ihre Kultur und Wissenschaft pflegen konnten und dies auch ihrem Land zugute kam. Andererseits hatten sie auch mit Beschränkungen und Verfolgungen zu leben, was insbesondere durch die benachbarten Kurdenstämme gilt. Als ein Merkmal dessen ist der häufige Wechsel des Patriarchensitzes zu nennen, der ehemals in Antiochien (heutiges Antakya in der Türkei) angesiedelt war, dann in Amida (1034), Mardin (1116), Deir Zafaran (1484), Homs (1924) und heute in Damaskus (1959) im heutigen Staat Syrien liegt.Ebenso wanderten viele syrisch-orthodoxe Christen durch die Verfolgungen in benachbarte Länder (Syrien, Libanon, Iran, Irak) aus. Mit der Gründung der türkischen Republik bildete sich ein Staat nach westlichem Vorbild, das die Trennung der Religion von der Politik vorsieht, aber dennoch ist die Religion unter staatlicher Kontrolle. Nachdem die Türkei vornehmlich islamisch geprägt ist, sind die christlichen Syrer als Bruchteil der Bevölkerung in der Minderheit. Auch wenn die Türkei die internationalen Konventionen zur Einhaltung der Menschenrechte (1923) unterschrieben hat, haben die Syrer nach wie vor mit Benachteiligungen, Verletzungen ihrer Rechte und mangelndem Schutz durch staatliche Organe zu kämpfen. Daher entschied sich im Laufe der Zeit ein Großteil, entweder in die Metropole Istanbul oder ins Ausland abzuwandern, so dass im ursprünglichen Gebiet des Tur Abdin in Nordmesopotamien nur noch ca. 3000 syrisch-orthodoxe Christen leben. Laut eigenen Angaben hat die syrisch-orthodoxe Kirche weltweit ca. 1,5 Mio Mitglieder, davon 500.000 in Syrien, Libanon, Türkei, Israel, Jordanien, Irak, Europa und Amerika und 1 Mio. in Indien. In Deutschland leben etwa 60.000 Gläubige, wobei der überwiegende Teil aus der Türkei stammt, der Rest aus Syrien, Libanon und Irak. Maßgeblich für die Einwanderung nach Deutschland war die Anwerbung türkischer Gastarbeiter seit 1960 bis 1973. Nach dem Anwerbestop kamen viele Syrer im Rahmen des Familiennachzuges oder als Asylsuchende nach. In Folge dessen wanderten auch Priester aus, so dass die Syrer ihre Religion in der neuen Heimat ausüben konnten. Bitris Ögünc, der erste Priester in Deutschland und auch Westeuropas kam 1971 nach Augsburg, weshalb sich hier eine große Gemeinde im Laufe der Jahre entwickeln konnte. Sitz des syrisch-orthodoxen Bischofs in Deutschland ist aber das Kloster Warburg in Nordrein-Westfalen.

Hintergrund-Infos

Einen genauen Zeitpunkt der Brauchentstehung des Yaume dithnichto festzulegen, gestaltet sich schwierig, da die frühchristliche Quellenlage hierzu spärlich ist und erst ab dem 2.Jahrhundert vorliegen. Dies liegt daran, dass in den ersten fünf Jahrhunderten offenbar wenige Konflikte zum Thema Tod und Bestattung vorlagen und sich daher nur beiläufige Erwähnungen und Andeutungen in der Literatur wiederfinden. Weiterhin kann man die christliche Kirche der damaligen Zeit nicht als einheitliche Größe betrachten, daher sind Rituale, wenn überhaupt überliefert, zeitlich und geographisch nur punktuell verortbar.  Weiterhin fand eine Vermischung von christlicher und paganer (heidnischer) Riten statt, was schon dadurch deutlich wird, dass die Grabesstätten Verstorbene beiderlei religiöser Auffassung beherbergten. Bekannt ist allerdings, dass verschiedene Riten um den Prozess des Sterbens, Bestattens und Trauerns ausgeführt wurden, die sich in voneinander unabhängigen Kulturen zu oft ähnlichen Formen entwickelt haben. Weiterhin entwickelten sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Strömungen, es kam zudem zu mehreren Spaltungen innerhalb der christlichen Kirche, so dass sich eine Vielzahl an Riten entwickelte. Zu diesen Elementen des rituellen Totengedenkens gehören:
  • Weihrauch: Den Toten wurde ein unreiner Zustand impliziert, der einerseits dazu führte, dass man bei Kontakt selbst unrein wurde und daher im Nachinhein eine Reinigungsprozedur zu absolvieren hatte. Andererseits versuchte man, den Toten selbst unter anderem durch den Einsatz von Weihrauch zu reinigen.
  • Essen: In vielen Kulturen besteht eine starke Bindung zwischen Essen und Trauern. So entwickelte sich in der Antike das Trost- oder Trauermahl für die Hinterbliebenen des Verstorbenen. Bereits das Judentum kannte es als feste Größe. Dahinter steckt der Sinn, dass in einem alltäglich ausgeführten Ritual der Toten gedacht wird, dass der Vorgang im Bewusstsein geschieht, dass der Tote nun nicht mehr dabei ist. Als eine der Kulturen, die dies nachweislich durchgeführt haben, ist Syrien neben Nordafrika und Italien in der Literatur zu finden, die spätestens ab dem 4. Jahrhundert mit Totengedenkmählern begannen. Der wahrscheinlich älteste Text hierfür ist ein Text in den apokryphen Johannesakten (datiert auf 150-180 n.Chr.), der von einer christlichen Gedenkfeier am Ort des Todes eines Verstorbenen berichtet. Es wird erwähnt, dass sie dort Brot brachen, was einen Zusammenhang zum letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern herstellt und somit die christliche Eucharistiefeier darstellt, in der gedankt wird, dass der Tote im Jenseits zum Leben erweckt wurde. Weiterhin wird erzählt, dass sie seine Gebeine an einem anderen angemessenen Ort begraben haben und dass sie nach Möglichkeit in Jubel und Freude zusammenkommen, und den Tag seines Martyriums zu feiern.
  • Gebete und Besuch der Gräber: Als christliche Rituselemente werden in den Didascalia Apostolorum (spätes 2., frühes 3. Jahrhundert n.Chr.) beschrieben, welche Formen bei Totengedenken beim Besuch am Grab vorkommen sollen: Gebete, Psalmen, Hymnen, Lesungen aus den biblischen Büchern und Predigten kirchlicher Autoritäten. Weitere Dokumente belegen, dass es spätestens im 4.Jahrhundert gängige Praxis war, der Toten am Grab mit Gebeten zu gedenken.Letztlich ist es nicht möglich, einen Zeitpunkt für das Totengedenken der syrisch-orthodoxen Kirche festzusetzen, jedoch sind einzelne Elemente in frühchristlicher Zeit nachgewiesen, die im Laufe der Jahrhunderte zu der heutigen Form führten. Diese Elemente entwickelten sich einerseits paganen Ursprungs, andererseits aber auch aus den jüdischen Riten.

Allgemeine Verbreitung

Dadurch, dass syrisch-orthodoxe Christen zum größten Teil ihre Heimat verlassen und sich weltweit niedergelassen haben, stellt sich die Frage, in wieweit der Brauch in der neuen Heimat fortgesetzt wird. Es ist davon auszugehen, dass die Ausübung an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst wird und sich somit viele verschiedene Formen etabliert haben. Grundsätzlich aber ist die Durchführung an Voraussetzungen geknüpft:
  • Zum einen müssen verstorbene Angehörige vorhanden sein, die am jeweiligen Ort begraben sind.
  • Zum anderen muss eine kirchliche Infrastruktur (syrisch-orthodoxe Gemeinde), zumindest aber ein Priester vorhanden sein, der die Zeremonie vollziehen kann.
  • Weiterhin ist wahrscheinlich, dass eine ausreichend große Anzahl an Verstorbenen /Angehörigen an jenem Ort nötig ist, ab der der Brauch ausgeübt werden kann.
Am Beispiel Augsburg kann man dies gut nachvollziehen. Die ersten syrischen Christen kamen 1968 nach Augsburg, der erste Priester 1971. Wann genau mit der Brauchausübung begangen wurde, ist nicht recherchierbar, begann aber ungefähr Mitte der 70er Jahre des 20.Jahrhunderts. Im ursprünglichen Gebiet der syrisch-orthodoxen Christen, im Tur Abdin in der Türkei, wird der Brauch nach wie vor ausgeübt. Er unterscheidet sich im Gegensatz zu der Brauchausübung in Augsburg dadurch, dass nicht die einzelnen Gräber aufgesucht werden, sondern der gesamte Friedhof gesegnet wird. Dies kann man mit der in Deutschland üblichen Friedhofsbegehung an Allerseelen bzw. Allerheiligen der katholischen Kirche verlgeichen. Weiterhin sind auch Unterschiede in den Speisen vorhanden, allein schon durch die regionalen Unterschiede. Es ist zu vermuten, dass weniger Süssigkeiten, und eher traditionelle Speisen (Brot, Käse, Eier, ...) zu finden sind, da viel mehr Ältere dort wohnen, die jungen Familien sind zum Großteil ausgewandert.

Forschungsstand allgemein

Literatur für Totengedenken im Allgemeinen in der früh-christlichen Zeit ist vorhanden, wenngleich in deutscher oder englischer Sprache eher selten. Besser sieht es da sicherlich in lateinischer, (alt)griechischer oder hebräischer Sprache aus. Daher stützen sich meine Ergebnisse insbesondere auf das zusammenfassende Werk von Ulrich Volp. Viel Literatur ist ebenfalls zu finden zur syrisch-orthodoxen Kirche oder zur historisch-etnischen bzw. sozialen Lage ihrer Mitglieder. Viele Bräuche und Riten werden hierin beschrieben, jedoch sind die Schwerpunkte meist auf das Osterfest bzw. die vorgelagerte Fastenzeit und auf das Weihnachtsfest gelegt. Das Totengedenken allein findet so gut wie keine Erwähnung, allenfalls eine beiläufige Randnotiz. Umso erstaunlicher war daher die Dimension und die genau festgelegte, routiniert aussehende Durchführung bei der Brauchausübung auf den Augsburger Friedhöfen mit zu erleben. Vermutlich gibt es einige Literatur in alt- oder neuaramäischer Sprache in den Bibliotheken der Klöster der syrisch-orthodoxen Kirche zu finden. Deren Lektüre und Veröffentlichung in westlicher Sprache geht jedoch sicherlich über den Umfang einer Seminararbeit hinaus.

Gewährspersonen

Der hier vorliegende Artikel entstand neben der Literaturrecherche durch Interviews mit Personen des Mesopotamien-Vereins Augsburg e.V. und der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Augsburg. Sie hatten die Idee zum Artikel und gaben Auskunft zu allen Fragen um den Brauch, die Ausübung, dessen Gestaltung und ermöglichten die Teilnahme und Dokumentation der Brauchausübung am Montag, den 6.5.2013. Der Artikel entstand im Rahmen des Seminars Brauch und Migration des Lehrstuhls für Volkskunde an der Universität Augsburg.

Weblinks

Literatur

  • Döpmann, Hans-Dieter: Die orthodoxen Kirchen in Geschichte und Gegenwart. Peter-Lang-Verlag, Frankfurt a.M. 2010.
  • Heinz, Andreas: Feste und Feiern im Kirchenjahr nach dem Ritus der Syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien.Paulinus-Verlag, Trier 1998.
  • Merten, Kai: Die syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei und in Deutschland. Lit-Verlag, Hamburg 1997.
  • Oeldemann, Johannes: Die Kirchen des christlichen Ostens, 2. aktualisierte Aufl. Pustet Verlag, Regensburg 2008.
  • Tamcke, Martin: Das orthodoxe Christentum. C.H.Beck Verlag, München 2004.
  • Thöle, Reinhard: Orthodoxe Kirchen in Deutschland. Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Göttingen 1997.
  • Volp, Ulrich: Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike. Brill, Leiden, Boston 2002.
  • Interview mit Bulut Yilmaz, Religionslehrer der syrisch-orthodoxen Kirche Augsburg, 19.06.2013

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