Jugendweihe

Einstiegsinformation

Die Jugendweihe hat ihren Ursprung in den Anfängen der freireligiösen Bewegungen um 1848. Als Begründer der Jugendweihe gilt der sächsische Freidenker Eduard Baltzer. Auf der Basis der freireligiösen Bewegung kam es 1852 im thüringischen Nordhausen zur ersten Jugendweihe.  Die Jugendweihe, welche nicht ausschließlich nur den atheistischen Gegenpol zur kirchlichen Konfirmation darstellt, bietet 14- jährigen Mädchen und Jungen jeder sozialen Schicht und unabhängig ihrer Religion den feierlichen Übertritt von Kindheit zum Erwachsenenleben.

Ablauf

Teilnehmer der Jugendweihe.

„Ein Mensch, der mit gutem Willen und voller guter, edler Vorsätze an eine Sache herangeht, wird viel leisten.“ (Herzen)

„Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern mit den Augen die Tür zu finden.“ (Werner von Siemens)

Zitate wie diese werden den Jugendlichen in ganz Deutschland am Tag ihrer Jugendweihe mit auf dem Weg in das Erwachsenenleben gegeben. Mit diesen Geleitsprüchen, wie sie oft genannt werden, werden Teilnehmern am Ende des feierlichen Aktes versehen. Sie sollen die Jugendlichen zum Nachdenken anregen und sie auf philosophische Weise in den Kreis der Erwachsenen einführen. (persönliche Erfahrungen)

Vorbereitungen

Die Teilnahme an der Jugendweihe ist jedem Jugendlichen freigestellt. Um jedoch an der Jugendweihe, die jedes Jahr im Frühling (meist im Mai) stattfindet, teilnehmen zu können, melden sich die 14- jährigen Mädchen und Jungen bei ihrer regionalen „Interessenvereinigung Jugendweihe e.V.“ an. Nach diesen formalen Anmeldungen können die Teilnehmer auf freiwilliger Basis an Jugendprogrammen, zum Beispiel Reisen, Ausflügen, Filmen, Gespräche über Politik, Familie und Sexualität teilnehmen, welche die jeweiligen Vereinigungen zur Verfügung stellen. Dazu bekommen die Teilnehmer bei der Anmeldung ein Programmheft.

Vor der Feierstunde ist noch viel zu erledigen. Es werden sich Gedanken über Kleidung, Frisur, Essen und Trinken, die Gäste und auch die Räumlichkeiten gemacht, in denen die Feier mit der Familie dann stattfinden soll. Die Eltern versuchen diesen Tag als einen unvergesslichen Anlass zu gestalten, denn er stellt den Wunsch nach einem ritualisierten Abschied von der Kindheit den Kreis der Erwachsenen dar. Aber nicht nur die Jugendlichen selber machen sich Gedanken über ihre Kleidung, auch die Verwandten und Bekannten, die an diesem Tag teilnehmen, wollen dem Anlass entsprechend gekleidet sein.

Am Tag der Jugendweihe ist es meist so, dass alle früh aufstehen und sich fertig machen. Vor allem bei den Mädchen herrscht Hektik und Eile, denn meist gehen sie vor der Feierstunde noch zum Friseur und lassen sich eine festliche Frisur verpassen. Diese ganze Hektik ist natürlich mit viel Freude, Nervosität und auch Spannung verbunden. So sind die Teilnehmer auch neugierig darauf, wie ihre Klassen- und Schulkameraden aussehen. (persönliche Erfahrungen)

Jugendweihe als festlicher Übergang in das Erwachsenenalter

Urkunde zur Jugendweihe.

Der festliche Akt der Jugendweihe beginnt unter musikalischer Begleitung mit dem Einmarsch der Teilnehmer nach Klassen und Schulen geordnet in den Festsaal. Dann folgt ein Einstiegs-Programm mit musikalisch und künstlerischer Gestaltung und einer Rede, die meist vom Vorsitzenden der jeweiligen Interessenvereinigung gehalten wird. Im Anschluss werden die Jugendlichen namentlich aufgerufen und kommen in Kleingruppen auf die Bühne. Dort wird ihnen gratuliert und jeder erhält eine Urkunde, ein Gedenkbuch und eine Blume (meist eine Rose).

Meist folgen anschließend weitere Programmpunkte zur Unterhaltung. Es ist auch nicht selten, dass ein jugendlicher Teilnehmer im Namen aller Jugendlichen eine Rede hält. Das Ende dieser Festlichkeit ist durch den Ausmarsch der Jugendlichen gekennzeichnet und durch ein abschließendes Gruppenfoto mit allen Teilnehmern.

Jugendweihe als Fest der Familie

Im Anschluss an die Feierstunde gehen die Jugendlichen mit ihren Familienangehörigen zusammen. Sie feiern im Bund der Familie den offiziellen Übertritt von ihrer Jugend zum Erwachsenenalter. Hierbei ist es nicht selten, dass den Gefeierten zahlreiche Geschenke von ihren Verwandten und Bekannten überreicht werden. Außerdem essen und trinken sie zusammen und reden über frühere Zeiten oder auch über das was die Zukunft noch bringen kann. Oft weckt der festliche Teil der Jugendweihe starke Emotionen in den Eltern und Großeltern. Hier wird ihnen klar gezeigt, was der Übertritt zum „Erwachsenen“ für die Jugendlichen bedeutet. So ist dieses Fest mit zwei starken Emotionen bedeckt. Zum einen der Stolz und die Freude, dass sich das Kind zu einem gesellschaftlich anerkannten Menschen entwickelt hat. Zum anderen auch eine Art Trauer, weil den Eltern klar wird, wie schnell die Zeit vergeht.

Aber dennoch ist es ein fröhliches Fest, es wird viel gelacht, geredet, gegessen und unter Umständen auch getanzt und ein wenig getrunken. (persönliche Erfahrungen)

Jugendweihe als Fest im Freundeskreis oder im Klassenverbund

Die Mehrzahl der Jugendlichen verabredet sich für den späteren Abend mit ihren Klassenkameraden oder Freunden, um zusammen diesen feierlichen Tag ausklingen zu lassen. Häufig wird in der Gruppe ein Stück gewandert oder man setzt sich einfach gemütlich zusammen und redet über dies und das. Auch ist hier der Konsum von Alkohol nicht selten, denn man möchte ja mit Gleichaltrigen auf den gemeinsamen Lebensabschnitt anstoßen. Wie ausgiebig dies stattfindet, ist jedoch von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. (persönliche Erfahrungen)

Hintergrund-Infos

Familienfest bei der Jugendweihe.

Die meisten Leute bringen mit dem Wort „Jugendweihe“ den Sozialismus und die DDR in Verbindungen und sehen den Ursprung auch in dieser Zeit. Jedoch ist das falsch. Die Jugendweihe ist seit über 150 Jahren ein Ergebnis eines allmählichen Verweltlichungsprozesses, wobei sich die freireligiöse Jugendweihe inhaltlich und organisatorisch von der Kirche trennte.  Zu sagen ist auch, dass es in der Literatur umstritten ist, wann der Beginn der Jugendweihe zu verzeichnen ist. Meine Ausführungen richten sich nachdem was ich am meisten in der Literatur gefunden habe.

Jugendweihe- Anfänge in freireligiösen Arbeiterbewegungen

Um 1848 trennten sich liberale Gruppen katholischer und protestantischer Herkunft von den überaltert empfundenen Amtskirchen. Daraufhin entstanden bald freireligiöse Bewegungen und von den Amtskirchen unabhängige Gemeinden. Hier zählt auch Eduard Baltzer (1814- 1884) dazu. Er gründete 1847 die „Freie Protestantische Gemeinde Nordhausen“. Das Konsistorium in Nordhausen lehnte die Wahl Baltzers als Pfarrer ab, da er als Mitglied „Protestantischer Freunde“ nicht Pfarrer werden könne. So entstand ein Bruch zwischen Baltzer und der Amtskirche (jedoch behielt er seinen christlichen Glauben bei). Als Folge dessen kam es 1852 zur Einführung der Jugendweihe. Sie stellte eine außerkirchliche Feier für junge Menschen und den Gegenpol zur Konfirmation dar. Jeder der an der Jugendweihe teilnahm, musste vorher aus der Kirche austreten und bekennt sich zu einer freien, liberalen Weltanschauung.

Die pädagogische Aufgabe der Jugendweihe wurde oft von parteipolitischen Zielen überlagert, was sich auch deutlich in den Feiern widerspiegelte. Das Jugendweiheprogramm, auch Jugendweiheunterricht genannt, bereitete die jungen Menschen bei Sport und Spiel auf das Leben vor. Durch die Vermittlung humanistischer Werte sollen sie auf die Beteiligung am Kampf für sozialen und politischen Fortschritt eingestimmt werden.

Damaliger Ablauf der Jugendweihe:
1. Teil: In der Festrede wurden vor allem die Prinzipien einer freien Weltanschauung und die Hauptinhalte des Jugendunterrichts thematisiert. Dieser Unterricht fand vor der Feierlichkeit statt.
2. Teil: Feierliches Gelöbnis der Jugendlichen sich politisch zu engagieren.

Durch die Abkehr von religiösen Idealen fand die Jugendfeier immer mehr Zuspruch bei freigeistigen Organisationen und dadurch kam es zu einer stetig anwachsenden Teilnehmerzahl. Dies führte schließlich dazu, dass sie zweimal im Jahr notwendig wurde, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.

Jugendweihe in den 20er- Jahren- Ausrufung der Weimarer Republik

Durch die Weimarer Reichsverfassung bekamen sowohl Kirche als auch freigeistigen Bewegungen genügend Raum für ihre Arbeit. So entstanden bei den Freidenkern verschiedene Zusammenschlüsse: streng kommunistische, gemäßigt demokratische, gewerkschaftliche und kleinbürgerliche Vereinigungen. Jede dieser Vereinigungen vertrat ihr eigenes politisches und weltanschauliches Konzept. So mussten die Familien zwischen verschiedenen Jugendweihen wählen, aber alle erforderten den definitiven Kirchenaustritt.

Edwin Hoernle, Mitbegründer der kommunistischen Kinderbewegung, empfand die Jugendweihe als Möglichkeit die Proletarierkinder zu kollektiver Arbeit, zu schöpferischer Initiative und zum Klassenkampf zu erziehen. Für die proletarischen Freidenker stand die Trennung von Staat und Kirche, die Ausgliederung der Kinder aus dem Religionsunterricht, die ästhetische Erziehung und die Aufklärung im Mittelpunkt. Für andere war die Jugendweihe „nur“ eine Art Schulentlassungsfeier.(

Allen gemeinsam war die Mündigsprechung der jungen Menschen. Sie sind nun „alt genug zum Arbeiten, eine eigene atheistische Weltanschauung zu haben und sich den Idealen der Arbeiterbewegung anzuschließen.“ (Döhnert, Albrecht: „Die Jugendweihe“ S. 349)

Der festliche Ablauf in den 20er- Jahren ist ähnlich der heutigen Feierstunde. Nur dass sich die Jugendlichen zur Weihe mit einem Gelöbnis auf die geistige und sittliche Arbeit an der eigenen Person und der Menschheit verpflichten, dass sie Aberglaube und Wahn ausrotten, Ausbeutung und Krieg bekämpfen und Gewissensfreiheit fördern. Daran wird deutlich, dass die Jugendweihe in der Weimarer Republik ein Teil der Arbeiterbewegung war. Mit diesem Glaubensbekenntnis wurden die Jugendlichen offiziell in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen.

Jugendweihe während des Nationalsozialismus

Es wäre fehlerhaft zu glauben, die Jugendweihe sei mit der Hitlerdiktatur untergegangen. Von 1940 bis 1942 kam es zu einer strengen Vereinheitlichung. So wurde die reichsweite „Verpflichtung der Jugend“ als Anlass für die Jugendweihe geschaffen. In Folge dessen diente die Jugendweihe, als die Erfassung aller Jugendlichen pro Schuljahr und als Verpflichtungen auf das Reich und den Führer. Zielsetzung dieser Richtlinien ist das gänzliche Verbot oder die Ablösung anderer Feiern, auch der Konfirmation und der Firmung.

So war es erstmal in der Geschichte der Jugendweihe, dass diese „als staatliches Ersatzritual für die Konfirmation gestaltet und zentral geplant worden ist“. ( Döhnert, Albrecht: „Die Jugendweihe“  S. 353)

Jugendweihe in der DDR

Familienfest bei der Jugendweihe.

Die Jugendweihe in der DDR war das erfolgreichste sozialistische Fest, sie war weitgehend an den freireligiösen und proletarischen Vorgängen orientiert. Vor allem sollte sie dazu beitragen, dass die sozialistische (atheistische) Weltanschauung die Lebensauffassung der Bürger (der Kirche) zurückdrängt und ersetzt.

1955 fanden die ersten staatlich unterstützten Jugendweihen statt. Sie wurde im Gegensatz zu der bisherigen Tradition zu einer staatlich ausgerichteten und staatsbefürwortenden Organisation. Das Ritual der Jugendweihe wurde stark von der Schule und dem Staat unterstützt. Sie fand nach dem 1. Jahr der Mitgliedschaft in der FDJ statt (nach der 8. Klasse).

Der vorbereitende Jugendunterricht wurde von der FDJ aktiv vorbereitet und durchgeführt. Diese Jugendstunden fanden im Klassenverband statt und oftmals auch direkt in den eigenen Klassenräumen. Themen dieser 10 Unterrichtsstunden waren unter anderem „Sozialismus- unser Heute und Morgen“, „Was heißt revolutionär zu sein?“ Diese Stunden waren aber nicht nur mit Theorie belegt, sondern auch viel mit Praxis versehen. So erfolgte die Vermittlung eines jungen, dynamischen und lebendigen Sozialismus, beispielsweise durch Exkursionen an geschichtlich bedeutende Orte.

Der festliche Ablauf der Jugendweihe befand sich im selben Rahmen wie der heutige. Doch das Kernstück stellte die Festrede, meist eines Stadtpolitikers oder Funktionärs, mit anschließendem Gelöbnis dar. So bestätigten die Jugendlichen, dass sie die humanistischen Werte pflegen, achten und fortführen, dass sie Tradition der Arbeiterklasse mit ihren Zielsetzungen erhalten und zur Fortführung beitragen.

Es gab nur wenige Jugendliche, die nicht an der Jugendweihe teilnahmen, denn dies hätte schlechte Folgen für ihre Zukunft und ihre Familie gehabt. Grund dafür ist, dass die Jugendweihe im sozialistischen Sinne ausgerichtet war und dementsprechend nach den Idealen der DDR strebte und durchgeführt wurde. Jeder der diese damit verbundene Bekennung zur DDR und dem Sozialismus verweigerte, musste mit starken Sanktionen rechnen.

Erst ab 1978 wurde es möglich neben der Jugendweihe auch an der Konfirmation teilzunehmen, da die katholische und protestantische Kirche eingesehen haben, dass sie die Jugendweihe nicht unterbinden können. Außerdem nahm die Anzahl der Konfirmationsteilnehmer in den Jahren davor rapide ab. So versprachen sich die Kirchen wieder einen größeren Zulauf an Konfirmanden. In Folge dessen nahmen viele an der „christlichen Weihung“ der Konfirmation, und an der „weltlichen Weihung“, der Jugendweihe teil.

Übersicht über den Verlauf einer Jugendweihe in der DDR:

  • Einzug der Teilnehmer
  • Musikalische Untermalung durch den Schulchor
  • Nationalhymne der DDR
  • Vereinzelte Musikeinlagen und Reden
  • Feierliche Festansprache (Stadtpolitiker oder Funktionär)
  • Gelöbnis der Weihlinge
  • Übergabe von Urkunde, Geschenkbuch sowie Verfassung
  • Musikeinlage
  • Dank der Teilnehmer
  • Marsch am Ende

An der Gestaltung der Feier beteiligten sich auch zahlreiche Prominente und Künstler. Vor allem die katholische Kirche äußerte sich kritisch und ablehnend gegenüber diesem Übergangsritus. Im Gegensatz dazu war die protestantische Kirche aufgeschlossener eingestellt. Sie sprach sich für die Teilnahme an der Jugendweihe aus. Somit kam es vor, dass Jugendliche sowohl an der Konfirmation bzw. Firmung und an der Jugendweihe teilnahmen.

Jugendweihe nach der Wende und Gegenwärtig

Mit dem Mauerfall im Herbst 1989 und dem neuen Gesellschaftssystem durchlief die Jugendweihe eine schwere Krise. Die vorbereitenden Jugendstunden und das Gelöbnis wurden verboten, denn das Bekenntnis zur sozialistischen DDR war nicht mehr aktuell. Die bedeutenden und wichtigen Strukturen der Jugendweihe lösten sich nicht einfach auf. Sie veränderten sich 1990 zu Landesverbänden und bildeten die „Interessenvereinigungen Jugendweihe e.V.“ Die Interessenvereinigungen legen ab diesem Zeitpunkt Wert auf die Vermittlung humanistischer- ethischer Lebensvorstellungen, wie „das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen, die Achtung der Würde der Anderen, Toleranz im menschlichen Miteinander, Gleichberechtigung und Gedankenfreiheit.“ ( Jugendweihe Deutschland e.V., 2003, S. 12)

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht eine offene Jugendarbeit, Ausflüge, Freizeitangebote und die Feierstunde selbst.

Jedoch konnte die Jugendweihe nach der DDR nur durch inhaltliche Erneuerungen und neue demokratische Strukturen überleben. Die momentane Jugendweihe und ihr Programm basieren auf den Traditionen des Freidenkertums. Primär richtet sie sich an konfessionslose Elternhäuser, diese sehen die Jugendweihe als anerkannte Alternative zur Konfirmation. Das Ziel der Jugendweihe ist es den Jugendlichen zu helfen „ihren Platz im Kreis der Erwachsenen zu finden, sie zu humanistischen, politisch denkenden und aktiv handelnden Menschen zu erziehen“(Jugendweihe Deutschland e.V., 2003, S. 12) und sie auf dem Weg dahin mit Rat und Tat zu begleiten. Abgerundet wird dies mit einem Gedenkbuch zur Feierstunde. Das aktuellste ist mit dem Titel „Der große Jugendweihe Almanach“ versehen und ist ein Lexikon.

Die Jugendweihe als gemeinschaftlicher Übertritt von der Kindheit zum Erwachsenenleben ermöglicht den jungen Erwachsenen eine Identifikation, Auseinandersetzung und ein Erlebnis mit den gesellschaftlich angesehnen Normen und Werten und diese sollen sie sich ein Leben lang beibehalten.

Interviews zur Jugendweihe

Jugendweihe 1978 (DDR)

Interview mit U. C. (geboren 1964 in Sachsen-Anhalt (DDR)

1. Wann hast du mit den Vorbereitungen für deine Jugendweihe angefangen? Was musste alles organisiert werden und musste man sich dafür extra anmelden?

„Mit den Vorbereitungen haben wir nach der Elternversammlung zu Beginn der 8. Klasse, also im Herbst 1977, begonnen. Zuerst widmeten wir uns der Kleiderfrage. Wir suchten eine Schneiderin auf, mit der wir die Stoffauswahl diskutierten. Im Anschluss kauften wir blauen Stoff für Rock und Weste sowie durchsichtigen orangen Stoff für meine Bluse. Im Frühjahr 1978 kauften meine Eltern und ich blaue Schuhe und einen blauen Mantel. Es gab ein Angebot für eine Klassenfeier in einem Saal bei Magdeburg. Von meinen 28 Mitschülern nahmen insgesamt 17 an der gemeinsamen Feier teil. Die Anmeldung dafür übernahm der Vater eines Mitschülers, der alles in die Wege leitete. Die Organisation der Feierstunde erfolgte über die Schule. An einem Tag im März nach der Schule gab es eine Stellprobe für alle Schüler der fünf 8. Klassen im Maxim Gorki Theater. Für die Feierstunde musste langfristig eingekauft werden, da es nicht immer alles vorrätig gab.“

2. Gab es vor deiner Jugendweihe ein Rahmenprogramm, das dich explizit auf deinen großen Tag vorbereitet hat?

„Es gab Jugendstunden, die sich mit politisch orientierten Themen beschäftigten. Jeder Teilnehmer erhielt ein Buch, mit dem er sich auf die einmal im Monat stattfindende Veranstaltung vorbereiten musste. Die Anwesenheit hierbei war verpflichtend. Zu diesen schulischen Veranstaltungen lud der Klassenlehrer, je nach Engagement und Organisationstalent, passend zum Thema Gäste ein. Bei dem Themenkomplex Verantwortung kam z.B. ein Anwalt. Auf freiwilliger Basis konnte man auch an Wochenendcamps teilnehmen, die immer ein passendes Leitmotiv (z.B. Sport, politische Bildung, Musik oder Kunst) hatten.“

3. Wie ist dein großer Tag genau abgelaufen?

„An dem Tag meiner Jugendweihe hatte kein Friseur geöffnet, weshalb ich mich selbst geföhnt und geschminkt habe. Bei der Feierstunde waren nur meine Eltern und meine beiden Omas dabei, weil wir nur vier Karten erwerben konnten. Zur Erinnerung an unseren großen Tag bekamen wir eine Urkunde, ein Geschenkbuch und eine Nelke. Im Anschluss stellten wir uns zu einem Klassenfoto auf. Dieses Foto war etwas ganz Besonderes, da es sich hierbei um ein Farbfoto handelte, welches zur damaligen Zeit noch sehr kostspielig war. Nach diesem offiziellen Teil genossen wir zu Hause ein reichhaltiges 4-Gänge-Menu, das meine Mutter gezaubert hatte. Als krönenden Abschluss gab es noch Kaffee und Kuchen. Bevor die Hausbewohner zum Gratulieren kamen, fuhren meine Großmütter nach Hause. An diesem besonderen Tag habe ich reichlich Post und viele Geldgeschenke bekommen. Die eigentliche große Feier mit den 17 Familien fand eine Woche später in einem geräumigen Saal statt. Die Dekoration des Saals haben wir selbst übernommen und individuelle Tischkarten für Familie und Freunde gestaltet. Jede Familie hatte einen eigenen Tisch und wir Jugendweihlinge hatten einen separaten Tisch, nur für uns. Die Eltern waren sehr großzügig und jedes Elternpaar hat Wein oder Sekt spendiert, so dass wir immer versorgt waren.“

4. Woran erinnerst du dich besonders gern zurück?

„Am besten hat mir das Programm der späteren gemeinsamen Feier gefallen. Unsere Jungs traten mit Perücken, Feinstrumpfhosen und Hackenschuhen als Frauen einer Modenschau auf. Sie hatten das im Vorfeld niemanden verraten und ernteten für ihren originellen und einfallsreichen Auftritt viel Applaus. Außerdem veranstalteten wir auch noch sehr lustige Wettspiele, wie z.B. das Einwickeln der Väter mit Toilettenpapier durch die Töchter oder das Wetttrinken der Jungen aus Nuckelflaschen, die mit Cola gefüllt waren, auf dem Schoß der Mütter. Auch beim ausgelassenen Tanz am Nachmittag und Abend hatten wir viel Spaß und jeder kam auf seine Kosten.“

5. Hat die Jugendweihe deinen Vorstellungen entsprochen?

„Da ich vorab eine ziemlich genaue Vorstellung vom Ablauf der Jugendweihe hatte, bin ich nicht enttäuscht worden. Meine Eltern, Familie und Freunde haben sich sehr große Mühe gegeben, um diesen einmaligen Tag, im Leben eines Heranwachsenden, so unvergesslich wie möglich zu gestalten. Was ihnen auch wirklich mehr als gelungen ist.“

 Jugendweihe 2003 (BRD)

Interview mit J. C. (geboren 1988 in Berlin (DDR)

Teilnehmerin der Jugendweihe.
Teilnehmerin der Jugendweihe.

1. Wann hast du mit den Vorbereitungen für deine Jugendweihe angefangen?

„Meine Familie und ich haben ein Jahr davor mit den ersten Vorbereitungen begonnen. Auch in meiner Klasse wurde das Thema angesprochen und einige organisatorische Vorkehrungen getroffen.“

2. Was musste alles organisiert werden und musste man sich dafür extra anmelden?

„Die offizielle Organisation hat die Elternsprecherin meiner Klasse übernommen. Zuerst haben wir in der Klasse darüber abgestimmt, ob wir gesammelt als Klasse in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden wollen und wo die offizielle Feierlichkeit stattfinden soll. Jedoch war die Teilnahme nicht verpflichtend und es gab Jugendliche, welche die Jugendweihe nur im privaten Rahmen oder überhaupt nicht gefeiert haben. Zur Wahl stand dabei der Friedrichstadt Palast, ein sehr bekanntes Revuetheater in Berlin, oder das Kino Cinemaxx in unserem Stadtbezirk. Schließlich haben wir uns als Klasse demokratisch für den Friedrichstadt Palast entschieden, weil dort das Ambiente festlicher und gehobener ist. Die Elternsprecherin hat uns dann dort für den 14. Juni 2003 um neun Uhr angemeldet. Neben diesem offiziellen Teil gab es bei mir, aber auch bei vielen meiner Klassenkameraden eine Feier im privaten Rahmen. Zuerst haben wir ein geeignetes Restaurant für die Feierlichkeit mit Freunden und Familie gesucht. Um keine bösen Überraschungen zu erleben und auch die richtige Entscheidung bezüglich der Örtlichkeit zu treffen, haben wir ein kleines Probeessen durchgeführt. Nachdem wir uns schließlich für den Wartenberger Hof entschieden hatten, wurden weitere Details für Tischdekoration und Buffet besprochen. Nun war es endlich an der Zeit die Gäste rechtzeitig einzuladen, damit sich alle darauf einstellen konnten. Dafür verschickte ich persönliche Einladungen. Außerdem habe ich farblich auf die Tischdekoration abgestimmte Servietten mit einem persönlichen Spruch bedrucken lassen, damit sich jeder Gast wohl und willkommen fühlt. Als das Organisatorische schließlich geklärt war, konnten wir uns der Kleiderfrage widmen. Dem Anlass entsprechend haben wir uns festlich gekleidet. Ich habe mich nach langem Hin und Her für einen beigen Blazer und einen schwarzen Faltenrock entschieden, weil ich mich von der breiten Masse abheben wollte. Nach meinem Probefriseurtermin stand die Hochsteckfrisur endlich fest.“

3. Gab es vor deiner Jugendweihe ein Rahmenprogramm, das dich explizit auf deinen großen Tag vorbereitet hat?

„Ja, da ich mich entschlossen hatte für ein Jahr Mitglied im Humanistischen Landesverband Berlin zu werden, konnte ich an zahlreichen Veranstaltungen kostengünstig teilnehmen. Damit sich jeder Jugendliche angesprochen fühlte, waren die Kursangebote breit gefächert und vielfältig, sodass jeder das Passende für sich finden konnte. Ich habe zum Beispiel einen Malkurs und einen Fotokurs besucht. Außerdem bin ich mit befreundeten Klassenkameraden ins Ferienlager an den Wannsee gefahren und war das erste Mal in der Disko. In der Schule hat man uns in der freiwilligen Arbeitsgemeinschaft Lebenskunde verschiedene Werte und Normen näher gebracht. Zudem wurde unser Gemeinschaftsgefühl durch Spiele und gemeinsame Aktionen gestärkt. Bis auf die AG übernimmt die Schule aber keine weiteren Organisations- und Aufklärungsaufgaben, weshalb man als Schüler keinen größeren Einblick in die geschichtliche Entwicklung der Jugendweihe bekommt.“

4. Wie ist dein großer Tag genau abgelaufen?

„Mein Tag hat schon sehr früh am Morgen begonnen, da wir eine Anfahrtszeit von einer Stunde hatten und schon eine dreiviertel Stunde vor dem offiziellen Beginn um neun Uhr zur Einweisung antreten mussten. Somit war ich schon um sechs Uhr auf den Beinen. Trotz des bedeutungsträchtigen Tages war ich bei Weitem nicht so aufgeregt, wie meine Mutter. Als wir endlich am Friedrichstadt Palast eintrafen, gingen die Familienangehörigen auf ihre Plätze. Die Jugendlichen sammelten sich draußen, um den genauen Ablauf der Veranstaltung zu erfahren und klassenweise nach Alphabet sortiert zu werden. Zu Beginn der Veranstaltung sind nacheinander alle Klassen einmarschiert. Als alle Jugendweihlinge ihre Plätze eingenommen hatten, konnte schließlich das bunte und abwechslungsreiche Programm beginnen. Dabei waren zahlreiche Tanz- und Gesangseinlagen, kleine Sketche und Szenen, Akrobatikstücke sowie einige Reden geboten, die alle unter den großen Themen Jugendweihe und Erwachsenwerden standen. Im Weiteren folgt die genaue Programmabfolge.“

Die offizielle Programmfolge im Jahr 2003 im Friedrichstadt Palast:

Flyer zu einer Jugendfeier.
  • Entrée: Pomp And Circumstances (Edward Elgar)
  • Mensch-Maschine (Hip-Hop-Soul-Band fameset Allstars)
  • Szene: Reminiszenz (Videoeinspiel)
  • Festakt: Dein Herz (IC Falkenberg und Band)
  • Szene: Röhnrad Artistik (Josh)
  • Szene: Wetter (IC Falkenberg und Band)
  • Festakt: Im Windschatten des Monitors (fameset Allstars)
  • Szene: Partnerakrobatik (Andrei und Ben)
  • Freunde (Barbara Kellerbauer und IC Falkenberg)
  • Festakt: Blues (Tina Tandler und Band)
  • Szene: Worte an die Jugendlichen Zwischen gestern und morgen (Barbara Kellerbauer und Matthias Behrsing)
  • Festakt: Wir sind reich (IC Falkenberg und Band)
  • Szene: We can leave the world (alle Mitwirkenden)
  • Finale: Jugendliche versammelten sich zum Abschlusslied auf der Bühne
  • Verleihung der Urkunde und Überreichung eines Buches über das Erwachsenwerden

„Die Veranstaltung im Friedrichstadt Palast hat bis ca. 10.45 Uhr gedauert. Anschließend sind wir mit den Verwandten zu uns nach Hause gefahren und dort gab es Kaffee und Kuchen. Um fünf Uhr haben sich meine Familie, die Verwandten und Freunde im Wartenberger Hof zur gemeinsamen Feier zusammengefunden. Nach einer kleinen Dankensrede von meiner Seite, für das Kommen und die zahlreichen Geldgeschenke, wurde das reichhaltige und wohlschmeckende Buffet eröffnet. Im Anschluss forderte mein Vater mich zu einem gemeinsamen Tanz auf. Lustige Spiele und Tanzrunden lockerten die Atmosphäre auf und vertrieben die Zeit. Um Mitternacht verließen dann auch die letzten Gäste das Lokal.“

5. Woran erinnerst du dich besonders gern zurück?

„Vor allem das Beisammensein mit Familie und Freunden war mir sehr wichtig. Die Feierlichkeit im Friedrichstadt Palast war sehr ansprechend gestaltet und hat zum Nachdenken angeregt. Jedoch ist an diesem Tag sehr viel Einmaliges geschehen, dessen Bedeutung mir erst im Nachhinein richtig bewusst geworden ist.“

6. Hat die Jugendweihe deinen Vorstellungen entsprochen?

„Nein, da ich dachte, dass ich mich nach der Feier in gewisser Weise erwachsener fühlen würde, was jedoch nicht der Fall war. Dadurch habe ich verstanden, dass zum Erwachsenwerden noch einiges mehr gehört.“

Jugendweihe 2012 (BRD)

Interview mit L. C. geboren 1997 in Berlin

1. Hast du schon eine konkrete Vorstellung vom Ablauf deiner Jugendweihe?

„Ja, mein Tag wird um ca. sechs Uhr morgens beginnen. Nach dem Frisieren und Anziehen werden wir vermutlich gegen sieben Uhr zum Friedrichstadt Palast aufbrechen. Dort werden wir ab acht Uhr eintreffen, da wir Jugendweihlinge noch den Ablauf proben müssen, damit später alles nach Plan verläuft. Nach dem unterhaltsamen Programm werden wir auf die Bühne gebeten und bekommen eine Urkunde, ein Buch und eine Rose überreicht. Gegen 11 Uhr wird das Programm beendet sein und meine Familie und Freunde werden in der ausgesuchten Gaststätte aufeinandertreffen. Dort werden wir einen sehr schönen Abend verbringen und erst spät ins Bett kommen.“

2. Freust du dich schon auf deine Jugendweihe?

„Natürlich freue ich mich auf meine Jugendweihe. Meine gesamte Familie und alle Freunde werden dabei sein. Ich bin sehr gespannt, was ich im Friedrichstadt Palast erleben werde und was dieser Tag noch für Überraschungen bereithält.“

3. Was verbindest du mit dem Thema Jugendweihe?

Geschenke zur Jugendweihe.

„Ich verbinde damit Spaß, Freude, Glamour, Freunde und Familie. Alle werden sich mit mir freuen und sich ein lustiges Unterhaltungsprogramm für den Abend überlegen, damit auch keine Langeweile aufkommt. Hoffentlich bekomme ich auch ein paar Geschenke. Aber eigentlich ist für mich die Hauptsache, dass wir zusammen ganz viel Spaß haben.“

4. Hast du dich schon über Veranstaltungen des Humanistischen Landesverbandes Berlin informiert? Welche Kurse interessieren dich?

„Ja, natürlich. Als ich mich bei dem Verband angemeldet habe, bekam ich einen Flyer, der mich über das umfangreiche Angebot informierte. Ich habe mir alles genau durchgelesen. Es gibt einige kostenlose und kostengünstige Kursangebote, wobei mich vor allem die kreativen Veranstaltungen, z. B. Mal-, Bastel- oder Tanzkurse, interessieren. Für jeden ist etwas dabei. Man kann auch einen Kampf- oder Kletterkurs belegen, selbst, wenn man kein Mitglied ist, wird man nicht ausgegrenzt und kann mitmachen.“

Literatur

  • Döhnert, Albrecht: „Die Jugendweihe“ in: Francois,Etienne/ Schulze, Hagen (Hsg.): „Deutsche Erinnerungsorte III“, München: Verlag C.H.Beck, 2001
  • Friedrich- Ebert- Stiftung (Hsg.): „Jugend in der DDR- zu Jugendalltag& Jugendproblemen im Sozialismus“, Bonn- Bad- Godesberg: 1988
  • Hallberg, Bo: „Die Jugendweihe- Zur deutschen Jugendweihetradition“, Göttingen: Vandenhoeck& Rupprechr 1979
  • Jugendweihe Deutschland e.V.(Hsg.): „Der große Jugendweihe Almanach mit Tipps für die aktive Freizeit“, München: 2003
  • Kuschuba, Wolfgang/ Scholze, Thomas /Scholze- Irrlitz, Leonore (Hsg.): „Alltagskultur im Umbruch“, Weimar/ Köln/ Wien: Böhlau Verlag 1996
  • Niehuss, Merith: „Zwischen Seifenkiste und Playmobil- Illustrierte Kindheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts“, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
  • Müller-Wenzel, Kristin: Vom Kind zum Erwachsenen – Die Jugendweihe in Deutschland. In: Götter, Gaben und Geselligkeit – Einblick in Rituale und Zeremonien weltweit, (S. 63-65 und S. 68-70), Münster, 2009
  • Niehuss, Merith: Zwischen Seifenkiste und Playmobil – Illustrierte Kindheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts, (S. 142-147), Darmstadt, 2007