Schenken und Gstanzlsingen bei einer Hochzeit in Bad Kötzting

Einstiegsinformation

Der Hochzeitslader beim Erklären des Schenkens.
Bei einer Hochzeit in Bad Kötzting im Bayerischen Wald (Landkreis Cham, Oberpfalz) wurde nach der Trauung in der Wallfahrtskirche Weißenregen am Nachmittag zu Kaffee und Kuchen sowie gemeinsamem Tanz im „Haus des Gastes“ eingeladen. Im Anschluss fand der Brauch des Schenkens statt, bei dem Gäste einzeln oder in Gruppen vom Hochzeitslader aufgerufen und von ihm mit Gstanzln (vierzeiligen, gereimten und von Musik begleiteten Versen) besungen wurden, nachdem sie dem Brautpaar Geschenke überreicht hatten. Die Gstanzl wurden durch Musikanten begleitet und waren inhaltlich auf die aufgerufenen Personen abgestimmt. Nach dem Schenken folgten das „Brautstehlen“ sowie ein gemeinsames Abendessen und ein Tanzabend.

Ablauf

Umstände

Das Schenken und Gstanzlsingen fand im Ballsaal des Wirtshauses „Haus des Gastes“ in Bad Kötzting statt, wobei etwa 120 Hochzeitsgäste anwesend waren. Der Brauch wurde von einem Hochzeitslader geführt, von fünf Musikanten begleitet und von einem Kameramann aufgezeichnet.

Termin

Die Hochzeit fand am Samstag, 11. August 2012, von etwa 13.10 Uhr bis etwa 0.10 Uhr des Folgetages statt. Das Schenken und Gstanzlsingen begann kurz vor 16.00 Uhr und endete etwa um 17.20 Uhr.

Die Trauung

Die Hochzeit begann mit der Trauung in der Wallfahrtskirche Weißenregen, die etwa von 13.10 Uhr bis 14.10 Uhr dauerte. Im Folgenden gratulierten die Gäste vor der Kirche der Reihe nach dem Brautpaar zur Hochzeit und fuhren im Anschluss zum „Haus des Gastes“ in Bad Kötzting, wo das Brautpaar musikalisch begrüßt wurde. Gegen 14.50 Uhr betraten Brautpaar und Gäste den Ballsaal und nahmen an den vorbereiteten Tischen Platz, bevor der Hochzeitslader das Programm für den folgenden Nachmittag und Abend bekannt gab. Kurz nach 15.00 Uhr eröffneten Braut und Bräutigam den Tanz sowie gegen 15.15 Uhr die Kuchentheke. Das Schenken und Gstanzlsingen fand von kurz vor 16.00 Uhr bis etwa 17.20 Uhr statt. Es folgte das Brautstehlen, wozu man unmittelbar im Anschluss an das Schenken und Gstanzlsingen zu Fuß ein anderes Wirtshaus in der Stadt aufsuchte und gegen 19.30 Uhr die Rückkehr zum „Haus des Gastes“ antrat, um dort kurz vor 20.00 Uhr den Tanzabend zu beginnen. Gegen 21.00 Uhr wurde das einstündige Abendessen begonnen, und danach folgten etwa zwei Stunden Tanz und Musik, bis kurz nach Mitternacht die Verabschiedung der verbliebenen Gäste erfolgte.

Ablauf von Schenken und Gstanzlsingen

Die Musikkapelle der Hochzeit.
Der Hochzeitslader begann um 15.56 Uhr mit einer kurzen Erklärung, wie der folgende Brauch des Schenkens im Detail ablaufen sollte: die Gäste würden nacheinander namentlich aufgerufen und sollten zum Brauttisch kommen, dem Brautpaar ihre Geschenke überreichen sowie ein Trinkgeld für die Musikanten und den Hochzeitslader hinterlassen und danach wieder auf ihren Platz zurückkehren, um im Anschluss von ihm mit einigen Gstanzln besungen zu werden. Zwischen 16.01 Uhr und 16.20 Uhr wurden nacheinander Ehrenvater und Ehrenmutter sowie die Eltern des Bräutigams und die Eltern der Braut aufgerufen, wobei dazwischen gegen 16.13 Uhr der bis dahin noch anwesende Pfarrer verabschiedet wurde. Es folgten bis 16.33 Uhr die Schwester des Bräutigams sowie die drei Brüder und die Großmutter der Braut und bis 16.47 Uhr in Gruppen Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen des Brautpaares. Zwischen 16.47 Uhr und 17.03 Uhr wurden die Nachbarn des Brautpaares sowie die Angestellten des Vaters des Bräutigams aufgerufen, und am Ende folgten alle anderen Freunde und Bekannten des Brautpaares, bis der Brauch des Schenkens um 17.17 Uhr durch eine kurze Abschlussrede des Hochzeitsladers beendet wurde. Die Gäste wurden je nach Verwandtschaftsgrad und Familienstand entweder einzeln, als Paare oder in Gruppen durch den Hochzeitslader aufgerufen. Vom Zeitpunkt ihres Aufrufs an spielten die Musikanten, bis sie sich wieder gesetzt hatten. Die Aufgerufenen gingen zum Brauttisch, sprachen dem Brautpaar ihre Gratulation aus, schüttelten Braut und Bräutigam sowie Ehrenvater und Ehrenmutter die Hand und stießen mit bereitgestellten Weißweingläsern an. Im Folgenden wurden Geschenke überreicht und Trinkgeld gegeben, wozu drei Behältnisse auf dem Brauttisch bereitstanden: von den herantretenden Gästen aus gesehen links ein Teller mit dem Trinkgeld für den Hochzeitslader, in der Mitte ein Korb für die Geschenke an das Brautpaar, und rechts ein Teller mit dem Trinkgeld für die Musikanten. Bei den Geschenken für das Brautpaar handelte es sich fast immer um Geldgeschenke in einem Briefumschlag, während als Trinkgeld in der Regel kleine Scheine gegeben wurden. Sachgeschenke gab es, wenn überhaupt, lediglich für den einjährigen Sohn des Brautpaares in Form von Spielzeuglastwagen unterschiedlicher Größe (sowohl der Vater der Braut, als auch der Vater des Bräutigams besitzen Fuhrunternehmen, und Braut und Bräutigam arbeiten jeweils im Unternehmen des Vaters). Nach dem Schenken kehrten die Gäste auf ihre Plätze zurück, um vom Hochzeitslader mit Gstanzln besungen zu werden. Bei Ehrenvater und Ehrenmutter sowie den nahen Verwandten von Braut und Bräutigam wurde mit dem Gstanzlsingen erst dann begonnen, wenn sie sich nach dem Schenken wieder gesetzt hatten. Bei den gruppenweise aufgerufenen Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen sowie bei allen anderen Gästen begann das Gstanzlsingen in der Regel bereits früher, meistens während die betroffenen Gäste gerade vor dem Brautpaar standen.

Akteure

Am Schenken und Gstanzlsingen beteiligt waren der Hochzeitslader, das Brautpaar, die jeweils besungenen Gäste, Zuschauer, Musikanten und ein Kameramann. Der auch als Gstanzlsänger fungierende Hochzeitslader war männlich, um die vierzig Jahre alt und gekleidet in einem Trachtenanzug mit kurzer Lederhose, weißem Hemd und dunklem Jackett. Beim Schenken und Gstanzlsingen hielt er in der rechten Hand ein kabelloses Mikrofon, das auf einem Ständer befestigt war und das er während dem Gstanzlsingen mit sich herumtrug und gelegentlich vor sich abstellte, während er sich in kleinen Schritten über die Tanzfläche bewegte. Am linken Unterarm war an einem kurzen Lederband der etwa dreißig Zentimeter lange sogenannte Hochzeitsstock befestigt, von dem etwa siebzig Zentimeter lange Bänder in den Farben weiß, gelb, blau, grün und rot herunterhingen. In der linken Hand hielt er außerdem während des Vortrags der Gstanzl einige weiße Zettel, auf denen sich Notizen zu den jeweils aufgerufenen Personen befanden. Braut und Bräutigam waren beide Mitte zwanzig. Die Braut trug ein weißes Hochzeitskleid und hatte ihre Haare hochgesteckt, der Bräutigam trug eine schwarze Anzughose und eine schwarze Anzugjacke über einem weißen Hemd. Das Brautpaar nahm die Geschenke entgegen, bedankte sich bei den jeweiligen Gästen, wechselte unter Umständen einige Worte mit ihnen und lachte am häufigsten über die oftmals ironisch-witzigen Gstanzl. Zu den dem Brautpaar nahestehendsten Besungenen zählten Ehrenvater und Ehrenmutter sowie der Kreis der nahen Verwandten von Braut und Bräutigam, welche in folgender Reihenfolge aufgerufen wurden: Ehrenvater mit Ehefrau, Ehrenmutter mit Ehemann und Tochter, Eltern des Bräutigams, Eltern der Braut, Schwester des Bräutigams, zweitältester Bruder der Braut, ältester Bruder der Braut mit Freundin, jüngster Bruder der Braut und Großmutter der Braut. Sie wurden namentlich mit Verwandtschaftsgrad, Beruf und gegebenenfalls Freizeitbeschäftigungen sowie Wohnort zum Schenken aufgerufen. Für sie wurden bereits mit Weißwein gefüllte Gläser zum Anstoßen direkt auf dem Brauttisch bereitgestellt, bevor sie nach vorne kamen. Das Gstanzlsingen über diese Personen und ihre Ehe- oder Lebenspartner begann erst, wenn sie sich nach dem Schenken wieder gesetzt hatten, und fiel ausführlicher aus als bei allen folgenden Gästen, wobei der Hochzeitslader jeweils mehrere der vierzeiligen Gstanzl aneinander reihte und jede der Personen zwischen ein und zwei Minuten lang besang. Nach dem Schenken durch die Eltern der Braut verabschiedete sich der Pfarrer und wurde ebenfalls mit einigen Gstanzl bedacht, die hauptsächlich auf seine Predigt eingingen. Außerdem trug der zehnjährige, jüngste Bruder der Braut selbst einige Gstanzl vor, nachdem er zum Schenken aufgerufen wurde. Im Anschluss wurden die restlichen Verwandten des Brautpaares in Gruppen aufgerufen: zuerst Onkel und Tanten und dann Cousins und Cousinen von Braut und Bräutigam. Für sie wurden keine Gläser zum Anstoßen mehr direkt auf dem Brauttisch bereitgestellt, sondern sie nahmen sich diese selbst auf dem Weg dorthin von einem Wagen. Das Gstanzlsingen fiel nun wesentlich kürzer aus - in der Regel ein vierzeiliges Gstanzl pro Person - und die Gäste wurden nicht mehr erst dann besungen, wenn sie sich wieder gesetzt hatten, sondern wenn sie gerade vor dem Brautpaar angekommen waren. Die Gäste wurden nicht nur gruppenweise aufgerufen, sondern kamen auch in Gruppen nach vorne, sodass sich vor dem Brauttisch eine Schlange bildete. Neben dem Hochzeitslader stand während dieser Zeit die Schwester des Bräutigams, um ihm die Namen der vortretenden Gäste mitzuteilen, was ihr aber nicht in allen Fällen gelang. Den Inhalt der Gstanzl entnahm der Hochzeitslader immer noch weitgehend seinen Notizen. Nach den Verwandten des Brautpaars wurden die Nachbarn des Elternhauses der Braut in Arrach und die Nachbarn des Elternhauses des Bräutigams in Bad Kötzting sowie die Angestellten des Vaters des Bräutigams aufgerufen. Die Gstanzl wurden nun unspezifischer, der Hochzeitslader stützte sich seltener auf seine Aufzeichnungen und ging öfter auch spontan auf Äußeres wie Kleidung, Haarschnitt oder Tätowierungen ein. Im Anschluss an Nachbarn und Angestellte wurden die übrigen geladenen Gäste der Hochzeit - Freunde und Bekannte des Brautpaares - nach vorne gebeten. Diese wurden nicht mehr mit Gstanzln besungen, sondern es spielte lediglich noch Musik, während sie zum Brauttisch kamen und dem Brautpaar ihre Geschenke überreichten. Die musikalische Begleitung von Schenken und Gstanzlsingen übernahmen fünf Musikanten, die sich auf einer Bühne hinter der Tanzfläche befanden und nach Aussage des Hochzeitslader gemeinsam mit ihm aufzutreten pflegen. Sie waren bekleidet mit kurzen braunen Lederhosen und kurzen weißen Hemden. Beim Gstanzlsingen spielten zwei von ihnen Trompete, einer Gitarre, einer Keyboard und einer Schlagzeug. Zu Beginn von jedem vierzeiligen Gstanzl spielten sie als Einleitung eine bestimmte Melodie, begleiteten jede Zeile und rundeten das Gstanzl wieder mit einer bestimmten Melodie ab. Wenn der Hochzeitslader gerade keine Gstanzl vortrug, spielten die Musikanten während des Schenkens Musik, welche vom Klatschen der meisten Gäste begleitet wurde. Schenken und Gstanzlsingen wurden, ebenso wie die restliche Hochzeit, weitestgehend von einem Kameramann aufgezeichnet und zu einem etwa fünfstündigen Hochzeitsvideo zusammengeschnitten. Im „Haus des Gastes“ befand er sich in einer Ecke des Ballsaales seitlich hinter dem Brauttisch, von wo aus er die Tanzfläche mit dem Hochzeitslader, das Brautpaar, die Bühne mit den Musikanten und die meisten der Gäste im Saal ohne viel Bewegung der Kamera im Bild hatte. Der Kameramann beteiligte sich nicht direkt am Geschehen, und auch die Hochzeitsgäste blickten nur sehr selten in die Kamera. Beim Aufruf der nahen Verwandten richtete sich die Kamera auf die jeweiligen Gäste, beim Schenken auf den Brauttisch mit dem Brautpaar, und beim Gstanzlsingen zuerst auf den Hochzeitslader und dann auf die besungenen Gäste, um ihre Reaktionen auf die Gstanzl aufzuzeichnen. Nachdem alle nahen Verwandten aufgerufen worden waren, blieb die Kamera auf den Raum vor und um den Brauttisch gerichtet, sodass Braut und Bräutigam sowie die jeweiligen Gäste zu sehen waren, die gerade ihre Geschenke überreichten.

Ein Beispiel für das Gstanzlsingen

Bayerische Originalversion

„So na drahre wieder um ja de sey is a so: do sitzen etz de Brauteltern und de kemma ey dro Ja und da Bernd is Unternehmer is owei af Achse ja des is scho wos, aber ned sched mim Lastwong sondern a mid de Roß Er is ein bayerischer Cowboy ohne Furcht und ohne Schreck, und am liaban reit a auße, ja auffe aufs Woideck Und beim Woidecker wenn a om is (do kehrt da)1 do kehrt da Bernd scho kehre ein und Gott sei Dank dass a as Roß dabei hod, des find na wieder heim
Ja und ned bloß als Hausfrau steht de Agnes voi im Gschäft drin, na na sie is a beim Aschenbrenner om Betriebsleiterin Und mit ihrem Enkerl wenns bei ihr om is duads owei treiniern, sagt sie bitte bitte sogst erstmal wennst ebbs sagst ,Agnes‘ und ned ,Brigitte‘ Ja und sie lest a gern Gruselromane, ja do hob i gspitzt, ja und je greißliger desto liaba wenns Bluad richte spritzt Und es hod amoi irgendoana gsagt wenn oa zlang gheirat san dass se de nix zum vazeyn ham
Des kon ma aber beim Bernd und da Agnes ganz bestimmt ned song Er weckt sie mitten in da Nacht af und sogt: ,etza muast de wach steyn‘, Agnes, luus af, mia is wos eigfoin, des muas i da ey unbedingt vazeyn‘ Ja und d‘Agnes kon guad malen des stimmt scho, malt Gemälde wie Picasso; ,wos moistn dann?‘ hob i sie gfragt, hods gsagt ,natürlich von meinem Bernd einen Akt‘“

Hochdeutsche Übersetzung

„So, dann dreh ich mich wieder um, ja die Sache ist so: da sitzen jetzt die Brauteltern und die kommen jetzt dran Ja und der Bernd ist Unternehmer, ist immer auf Achse, ja das ist schon was, aber nicht nur mit dem Lastwagen sondern auch mit dem Pferd Er ist ein bayerischer Cowboy ohne Furcht und ohne Schreck, und am liebsten reitet er aus, ja hinauf zum Waldeck Und wenn er beim Waldecker ist kehrt der Bernd schon gehörig ein, und Gott sei Dank hat er sein Pferd dabei, denn das findet dann wieder heim
Ja und nicht bloß als Hausfrau ist die Agnes voll im Geschäft, nein nein, sie ist auch beim Aschenbrenner Betriebsleiterin Und wenn ihr Enkel bei ihr ist trainiert sie immer mit ihm und sagt: ,wenn du zum ersten Mal etwas sagst, bitte bitte sage „Agnes“ und nicht „Brigitte“‘ Ja und sie liest gern Gruselromane, ja da hab ich aufgehorcht, ja und je scheußlicher desto lieber, wenn das Blut richtig spritzt Und es hat einmal irgendeiner gesagt wenn man zu lange verheiratet ist hätte man sich nichts mehr zu sagen
Das kann man bei dem Bernd und der Agnes ganz bestimmt nicht sagen Er weckt sie mitten in der Nacht auf und sagt: ,Jetzt musst du aufwachen‘ ,Agnes, hör zu, mir ist was eingefallen, das muss ich dir jetzt unbedingt erzählen‘ Ja und die Agnes kann gut malen, das stimmt schon, malt Gemälde wie Picasso; ,Was malst du denn dann?‘ hab‘ ich sie gefragt, dann hat sie gesagt: ,Natürlich von meinem Bernd einen Akt‘“

Analyse des Inhalts

Es handelt sich um drei Gstanzl mit jeweils vier Zeilen; das erste über den Vater der Braut, das zweite weitgehend über die Mutter der Braut und das letzte jeweils etwa zur Hälfte über beide. Die Gstanzl sind überwiegend im bayerischen Dialekt gehalten, jedoch werden insbesondere zur Reimbildung des Öfteren hochdeutsche Wörter verwendet. Jede Zeile beinhaltet in sich einen Reim, der entweder durch zwei Wörter aus dem Bayerischen zustande kommt, so zum Beispiel in der zweiten Zeile „wos“ und „Roß“, aus einer Mischung von Bayerisch und Hochdeutsch, so beispielsweise in der dritten Zeile „Schreck“ und „Woideck“, oder nur durch Wörter aus dem Hochdeutschen, so zum Beispiel in der vierten Zeile „ein“ und „heim“. Die erste Zeile des ersten Gstanzls macht die Brauteltern als Besungene deutlich und bildet eine Überleitung zum folgenden Inhalt. In der zweiten Zeile wird der Vater der Braut als hauptberuflicher Fuhrunternehmer und Hobby-Reiter vorgestellt, in der dritten Zeile wird er ironisch als „bayerischer Cowboy“ bezeichnet und das Lieblingsziel seiner Ausritte genannt, die Gaststätte und der Einödhof „zum Waldeck“, und in der vierten Zeile wird erwähnt, dass er dort gern „gehörig einkehrt“ und zum Glück sein Pferd dabei hat, weil dieses danach wieder nach Hause findet. Die erste Zeile des zweiten Gstanzls stellt die Mutter der Braut als Hausfrau und Geschäftsführerin des genannten Fuhrunternehmens vor. In der zweiten Zeile wird ironisch beschrieben, wie sie angeblich ihrem Enkel, dem einjährigen Sohn des Brautpaares, beizubringen versucht, dass sein erstes Wort „Agnes“ sein soll, also ihr eigener Vorname, und nicht „Brigitte“, also der Vorname der Mutter des Bräutigams. Die dritte Zeile geht auf ihre Vorliebe für Gruselromane ein und die vierte Zeile bildet eine Überleitung zum letzten Gstanzl. Die ersten drei Zeilen des dritten Gstanzls decken die Tatsache auf, dass der Vater der Braut seine Ehefrau manchmal mitten in der Nacht weckt, um ihr etwas zu erzählen, während die vierte Zeile auf die Malerei als Hobby der Mutter der Braut eingeht und das Gstanzlsingen über die Eltern der Braut ironisch abschließt. Die Gstanzl haben, wie auch der Großteil der anderen Gstanzl bei der Hochzeit, hauptsächlich Beruf und Hobbys sowie Anekdoten aus dem Leben der besungenen Personen zum Inhalt, wobei zum Teil witzige Details erwähnt werden, die mehr oder weniger wahren Gegebenheiten entsprechen, zum Teil aber auch Dinge erfunden werden oder die ironische Darstellung allein für Belustigung sorgen soll. Insbesondere beim Brautpaar und unter den Gästen, welche die Eltern des Brautpaars kennen und unter Umständen auch mit den erwähnten Anekdoten vertraut sind, führen diese zum erwünschten Gelächter.

Veranstaltungsort

Haus des Gastes in Bad Kötzting.
Der Ballsaal der Hochzeit.
Das Geschehen spielte sich im Ballsaal des „Haus des Gastes“ ab, in dem sich insgesamt vierundzwanzig Tische mit jeweils vier bis sechs Personen befanden. Auf der linken und rechten Seite des Saals waren die Tische in Zweierreihen aufgestellt, auf der rechten Seite unterbrochen vom Brauttisch. In der Mitte des Saals befand sich die Tanzfläche und im hinteren Bereich eine einzelne Reihe mit drei Tischen sowie nach hinten versetzt auf einer etwa einen Meter erhöhten Fläche die Bühne für die Musikanten. In die Wände hinter den Tischen waren auf der rechten Seite große Fenster und auf der linken Seite verglaste Türen eingelassen, die reichlich Licht hereinließen und zusätzlich als Ein- und Ausgänge benutzt werden konnten. Die Verteilung der Sitzplätze war so organisiert, dass enge Verwandte näher beim Brauttisch saßen, also auf der rechten Seite des Saals oder vor der Bühne, und andere Verwandte sowie Nachbarn, Mitarbeiter, Freunde und Bekannte weiter entfernt vom Brautpaar auf der linken Seite des Saals. An den Brauttisch schlossen im rechten Winkel zwei weitere Tische an; von der Tanzfläche aus gesehen rechts stand der Tisch für die Eltern des Bräutigams (an dem zu Beginn auch der Pfarrer saß), während sich links der Tisch für die Eltern der Braut und die Brautjungfer befand. Am Brauttisch saßen, von vorne gesehen, links die Braut und rechts der Bräutigam sowie links neben der Braut die Ehrenmutter und rechts neben dem Bräutigam der Ehrenvater. Der Brauttisch und die beiden angrenzenden Tische waren mit einer weißen Tischdecke bedeckt und mit mehreren Blumensträußen geschmückt, die sich entweder in weißen Vasen befanden oder auf dem Tisch lagen. Auf den beiden angrenzenden Tischen befand sich jeweils ein hoher Kerzenständer mit drei Kerzen, während auf dem Brauttisch selbst eine einzelne, große Kerze sowie einige Teelichter in Weingläsern brannten. Mit Ausnahme der Brautjungfer hatten alle Personen an den drei Tischen während des Schenkens und Gstanzlsingens ein Glas mit Weißwein sowie ein anderes Getränk, zum Beispiel Cola oder Limonade, vor sich stehen. In der Verlängerung des linken Tisches befand sich ein vierstöckiger Metallwagen, auf dessen vier Etagen sich gefüllte und geleerte Weißweingläser und Weißweinflaschen befanden. Während die Gläser für die nahen Verwandten extra auf dem Brauttisch bereitgestellt wurden, bedienten sich alle folgenden Gäste selbst auf dem Weg zum Brauttisch an dem Wagen und stellten ihre Gläser nach dem Anstoßen zum Teil ausgetrunken wieder dorthin zurück oder nahmen sie mit auf ihren Platz. In der Mitte des Brauttisches befanden sich beim Schenken und Gstanzlsingen die Behältnisse für Geschenke und Trinkgeld; von vorne gesehen links ein runder Teller für das Trinkgeld des Hochzeitsladers, in der Mitte ein rechteckiger, geflochtener Korb von etwa vierzig Zentimetern Breite und zwanzig Zentimetern Höhe und Tiefe für die Geschenke an das Brautpaar, und rechts ein zweiter runder Teller mit einem Glöckchen darauf für das Trinkgeld der Musikanten. Die Gäste legten ihr Trinkgeld für Hochzeitslader und Musikanten, meistens beststehend aus Fünf-, Zehn- oder Zwanzig-Euro-Scheinen, in der Regel nicht auf die jeweiligen Teller, sondern darunter. Das Geschenk an das Brautpaar bestand üblicherweise aus einem Kuvert mit einem Geldgeschenk, das in den Korb in der Mitte des Tisches gelegt wurde. Kam ein zusätzliches Geschenk hinzu, zum Beispiel ein Spielzeuglastwagen, so nahm die Ehrenmutter dieses in Empfang und stellte es vorübergehend hinter den Brauttisch.

Brauchverständnis

Der Brauch des Schenkens und Gstanzlsingens war unter den Anwesenden allgemein bekannt und scheint nach Aussagen von Gästen insbesondere in Bad Kötzting und der weiteren Umgebung bei Hochzeiten in dieser oder ähnlicher Form sehr gebräuchlich zu sein. Er stellte neben der Trauung, dem Brautstehlen, dem Abendessen und dem Tanzabend einen wesentlichen Teil der Hochzeit dar, bei dem alle Gäste mehr oder weniger direkt angesprochen wurden und in Kontakt mit dem Brautpaar kamen. Der Brauch gewährte für das Überreichen von Geschenken eine feste Struktur, klare Regeln und eine Hierarchisierung von Ereignissen und Personen. Er stellte sicher, dass Gäste dem Brautpaar Geschenke gaben und dieser Akt von den anderen wahrgenommen wurde; es wurde deutlich, wer schenkte und was er oder sie schenkte. Durch die Reihenfolge des Aufrufs wurde eine Hierarchie innerhalb der Hochzeitsgäste sichtbar, die zum Großteil das Verwandtschaftsverhältnis zum Brautpaar widerspiegelte. Das Schenken stellte außerdem sicher, dass alle Hochzeitsgäste wenigstens für kurze Zeit direkt mit dem Hochzeitspaar in Kontakt traten, was bei einer Hochzeit mit vielen Gästen ansonsten nicht unbedingt gewährleistet wäre. Das Gstanzlsingen als wesentliches Element diente der Kommentierung und Auflockerung des Geschehens sowie der Vorstellung und Darstellung der jeweils schenkenden Gäste. Inhaltlich zielten die Gstanzl darauf ab, einerseits die Lebensumstände des Besungenen kurz zu umreißen und andererseits durch witzige Darstellung oder Einbringen lustiger oder peinlicher Details und zum Teil wahrheitsgemäßer, zum Teil erfundener Anekdoten für Gelächter zu sorgen. Die Akzeptanz des Brauchs war dabei nicht bei allen Gästen gleich. Während die meisten das Schenken in dieser Form für „ganz normal“ hielten, fanden manche es „altmodisch“ und distanzierten sich in einzelnen Fällen sogar davon, indem sie sich bei den Gruppenaufrufen nach draußen begaben, anstatt vorzutreten.

Rollenverständnis

Das Brautpaar als Mittelpunkt der Hochzeit hatte beim Schenken und Gstanzlsingen eine weniger zentrale Rolle als bei anderen Teilen des Festes. Zwar nahm es die Geschenke entgegen, stieß mit den Schenkenden an und unterhielt sich gegebenenfalls kurz mit ihnen, aber das Hauptinteresse der meisten Gäste galt dem Gstanzlsänger - oder vielmehr dem jeweiligem Gast, den dieser gerade mit seinen Texten besang. Das Brautpaar konnte somit zwar einerseits als wichtigste Partei beim Brauch des Schenkens verstanden werden, andererseits jedoch lediglich als Zuhörer beim Gstanzlsingen. Im Unterschied zu den meisten anderen Gästen nahmen Braut und Bräutigam ihre Rolle als Zuhörer beim Gstanzlsingen recht ernst und hörten fast immer aufmerksam zu. Einerseits kannten sie im Unterschied zu den meisten Anwesenden tatsächlich alle besungenen Gäste, andererseits hatten sie nach Aussage der Braut dem Hochzeitslader selbst die nötigen Informationen mitgeteilt, anhand derer er die Gstanzl verfasst hatte, und waren gespannt auf das Ergebnis. Der Hochzeitslader verstand sich selbst als Moderator wesentlicher Teile der Hochzeit und wurde auch von den Gästen als solcher verstanden. Er sorgte in seiner Rolle dafür, dass das Schenken eine klare Ordnung und Struktur erhielt und behielt, so zum Beispiel als er am Anfang den Ablauf und die Aufgaben der Gäste genau erläuterte und das Schenken am Ende mit einer kurzen Rede zum Abschluss brachte. Hinsichtlich seiner Autorität bei der Hochzeit war das Schenken ein zentraler Teil, weil er währenddessen vollständig die zeitliche und inhaltliche Gestaltung übernahm. Er stand in dieser Zeit zumindest scheinbar über den Gästen, weil sie beim Schenken seinem Aufruf folgten und er beim Gstanzlsingen das Privileg hatte, sie vorzustellen und Details aus ihrem Leben ironisch darzustellen, um für Gelächter zu sorgen. Diese „Macht“ des Hochzeitsladers während des Gstanzlsingens war gut sichtbar in der gespannten Erwartung, mit der insbesondere die jeweils Besungenen seinen Gstanzln folgten. Der Hochzeitslader schien Erfahrung in seiner Rolle zu haben, trat selbstsicher auf und trug die aus bayerischen und hochdeutschen Wörtern gemischten Reime trotz einiger Versprecher recht sicher vor. Die jeweils besungenen nahen Verwandten des Brautpaares hörten aufmerksam zu, was der Hochzeitslader in seinen Gstanzln über sie zu sagen hatte, wobei sie meistens gespannt oder sogar etwas angespannt wirkten, was er wohl für sie bereithalten würde. Bei lustigen Darstellungen und erfundenen oder wahrheitsgemäßen Anekdoten lachten sie mit den übrigen Gästen, auch wenn das Lachen bei manchen Anspielungen eher etwas gezwungen wirkte. Die folgenden Besungenen standen nicht mehr so sehr im Mittelpunkt des Interesses wie die nahen Verwandten, weil sie als Teil einer Gruppe aufgerufen wurden, nicht mehr mit so ausführlichen und spezifischen Gstanzln bedacht wurden und meistens gerade vor dem Brautpaar oder unter den Wartenden vor dem Brauttisch standen, wenn sie besungen wurden. Ihren Reaktionen nach zu urteilen bekamen viele von ihnen nicht einmal mit, wenn sie gerade mit Gstanzln bedacht wurden und erlebten ihre Rolle als Schenkende und Besungene bei Weitem nicht so intensiv wie die nahen Verwandten. Alle jeweils nicht aufgerufenen oder besungenen Gäste saßen auf ihren Plätzen, verstanden sich als Zuschauer und folgten dem Schenken und Gstanzlsingen mit stark unterschiedlichem Interesse. Die meisten begleiteten vor allem zu Beginn die musikalische Untermalung durch rhythmisches Klatschen und folgten den Gstanzln der nahen Verwandten des Brautpaares, wobei Witziges meist durch Gelächter kommentiert wurde. Allerdings unterhielten sich einige bereits von Beginn an untereinander an den Tischen, und vor allem im weiteren Verlauf verloren viele das Interesse an den unspezifischeren und kürzeren Gstanzln über Personen, die sie meistens nicht direkt kannten. Das Interesse der meisten Gäste richtete sich nur noch dann auf das Gstanzlsingen, wenn sie die jeweils Besungenen gut kannten oder ein bestimmter Vers durch lauteres Gelächter allgemeine Aufmerksamkeit fand.

Organisation

Die Hochzeit wurde weitgehend vom Brautpaar selbst organisiert. Braut und Bräutigam kümmerten sich um die Einladung der Gäste und die Auswahl von Musikanten und Hochzeitslader. Laut Aussage der Braut hätte das zukünftige Brautpaar „wenn man‘s richtig macht“ die engsten Freunde und Verwandten persönlich einladen und bei dieser Gelegenheit in Begleitung des Hochzeitsladers erscheinen sollen, allerdings entfiel dieser Teil aus Zeitmangel seitens des Bräutigams. Das Schenken in dieser Form sei nach ihrer Aussage bei einer Hochzeit „ganz normal“, wobei es zwei Möglichkeiten gebe: zum einen das Schenken „über den Tisch“, wie es hier praktiziert wurde, und zum anderen eine vereinfachte, in der Gegend aber angeblich ungebräuchlichere Variante, bei der Ehrenmutter und Ehrenvater mit einem Korb durch den Saal gehen und die Kuverts bzw. Geschenke einsammeln. Das Gstanzlsingen sei nach Aussage der Braut als Teil des Schenkens ebenfalls „bei uns eigentlich bei jeder Hochzeit so“. Der Hochzeitslader hätte dafür bereits einige Wochen vor der Hochzeit Informationen über jedes Familienmitglied erhalten und anhand dieser Informationen seine Reime erstellt.

Entwicklungsgeschichte und Forschungsstand

Das Schenken stellt einen wesentlichen Teil moderner Hochzeiten dar. Obwohl über Hochzeiten im Allgemeinen bereits viel Forschung betrieben wurde, ist die historische Genese von Hochzeitsgeschenken und damit verbundenen Bräuchen relativ wenig erforscht. Dies mag unter anderem darin begründet liegen, dass Hochzeitsgeschenke von jeher an keinerlei rechtliche Verpflichtungen gebunden waren und sich somit in obrigkeitlichen Hochzeitsordnungen vergangener Jahrhunderte zwar Vorschriften zu der Mitgift der Braut und der Morgengabe des Bräutigams finden lassen, die Geschenke bei der Hochzeit selbst aber unerwähnt bleiben und somit hinsichtlich dieser Quelle schwer für die Forschung fassbar sind. Für das 18. und 19. Jahrhundert sind für Schleswig-Holstein, Württemberg und Bayern sogenannte „Gabehochzeiten“ oder auch „Bettelhochzeiten“ belegt, bei denen Gäste weniger üppig bewirtet wurden, um ihnen Ausgaben für Essen und Trinken zu ersparen - in der der Hoffnung darauf, im Gegenzug von den Gästen mehr Hochzeitsgeschenke zu erhalten. Zwar wurden diese Hochzeiten unter dem Vorwand des Bettelverdachts gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Obrigkeit verboten, jedoch sind in Fotoalben zu Beginn des 20. Jahrhunderts Sachgeschenke wie Geschirr, Gläser, Besteck, kleinere Möbel oder Wanddekorationen als beliebteste Geschenke bei Hochzeiten nachzuweisen. Bis in die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts waren Geldgeschenke bei Hochzeiten eher unüblich; es wurden entweder Sachgeschenke gemacht oder insbesondere bei bäuerlichen Hochzeiten auch Naturalien geschenkt. Geldgeschenke setzten sich besonders ab den 80er Jahren immer mehr durch, weil das Paar oft bereits vor der Hochzeit zusammen lebte und schon einen gemeinsamen Haushalt führte, somit also keinen Bedarf an Haushaltsgegenständen hatte - wohl aber für die Bezahlung der Hochzeit oder teurere Anschaffungen, die ein Hochzeitsgast allein nicht leisten hätte können. Geld ist seither das bei Hochzeiten übliche und verbreitetste Geschenk geblieben, wie sich insbesondere für den Bayerischen Wald anhand der Erzählung einer Bäuerin aus dem „Lamer Winkel“, einer Gegend nahe Bad Kötzting und Heimat der Braut bei der oben beschriebenen Hochzeit, im Jahr 1990 belegen lässt. Wie auch bei dem vorgestellten Brauch des Schenkens und Stanzelsingens deutlich wird, werden zwar gelegentlich Sachgeschenke gemacht, diese haben aber eher symbolischen Charakter. Geldgeschenke stehen also eindeutig im Vordergrund des Schenkens. Zur Entwicklungsgeschichte des Gstanzlsingens bei Hochzeiten muss auf die historische Genese der Rolle des Hochzeitsladers zurückgegriffen werden, der heute auch die Rolle als Gstanzlsänger übernommen hat. Wie Jochen Ramming in seinem Beitrag „Die Rückkehr der Hochzeitslader. Über die Folklorisierung der altbayerischen Prokuratoren“ im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde 1998 dargelegt hat, sind die Anfänge des Prokuratorenamtes in Bayern wahrscheinlich auf ein fürstliches Mandat von 1652 zurückzuführen, das für die Eheschließung einen schreibkundigen Beistand, einen Gerichtsprokurator, vorschreibt. Diese Prokuratoren erlangten vor allem ab Mitte des 18. Jahrhunderts bei den „Großen Hochzeiten“ Bedeutung, die sich nach höfisch-barocken Vorbild in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem Land verbreiteten und nicht nur den schriftlichen Beistand eines Prokurators voraussetzten, sondern auch eine klare Organisation und Strukturierung der Veranstaltung. Die Prokuratoren übernahmen im Zuge dieser größer werdenden Hochzeiten nicht nur die Festorganisation Ausgestaltung des Hochzeitstages, sondern in vielen Fällen auch die bis dahin ehrenamtlich von der Verwandtschaft der Braut ausgeführten Rolle des Hochzeitsladers. Der Hochzeitslader hatte die Aufgabe, eine Hochzeit öffentlich zu machen und die Gäste persönlich in ihrem Haus zu besuchen und zum Fest einzuladen; dies führte er entweder in Begleitung des Bräutigams oder alleine aus, wie für den Bayerischen Wald bereits für das Jahr 1861 belegt ist. Die Entwicklung, dass er auch die Rolle des Gstanzlsingens bei der Hochzeit übernahm, ist auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Nachdem 1845 ein Verbot für Schullehrer erlassen wurde, nebenberuflich dem Amt des Prokurators nachzugehen, übernahmen zunehmend Leute mit sozial niedriger stehenden Berufen wie Schneider, Handwerker, Kleinbauern oder Musikanten das Amt und brachten eine lustigere und unterhaltsame Gestaltung des Festes mit sich. Als Folge dieser Entwicklung trat der Hochzeitslader als humoriger Redner bei der Hochzeit in Konkurrenz mit dem Brautführer oder Kranzlherrn, meist ein naher Verwandter der Braut, der über jeden Gast beim Überreichen der Geschenke ein witzig-spöttisches Gstanzl sang. Nach dem Rückgang des Prokuratorenamtes gegen Ende des 19. Jahrhunderts und seiner Neubelebung als folklorisierte Brauchgestalt auf Basis heimatkundlicher Literatur in den 1930er Jahren übernahm der Hochzeitslader schließlich im Lauf der folgenden Jahrzehnte auch die Rolle des Brautführers - eine Entwicklung, die sich für den Bayerischen Wald in einem Bericht von H. Mühlbauer aus dem Jahr 1937 ebenso abzeichnet wie in einer Befragung älterer Leute zur Rolle des Hochzeitsladers in den 1980er Jahren. Der Hochzeitslader übernahm also im Laufe der Zeit auch vollständig die Rolle des Gstanzlsingens bei der Hochzeit - eine Rolle, die in der untersuchten Hochzeit eine seiner Hauptaufgaben war, während das ursprünglich namensgebende Laden der Gäste in diesem Beispiel gar nicht zu seinem Tätigkeitsfeld gehörte. Bereits 1975 ließ sich feststellen, dass in Ober- und Niederbayern tätige Hochzeitslader ihre früher üblichen Einladungsrundgänge meist aus Gründen des Zeitmangels aufgeben mussten, jedoch immer noch die Leitung und Unterhaltung des Festes übernahmen. Eine genauere regionale Verortung des heutigen Brauchs von Schenken und Gstanzlsingen im Zusammenhang mit einem Hochzeitslader im deutschlandweiten oder wenigstens bayernweiten Rahmen erscheint schwierig. Sie würde eine systematische Erhebung im Sinne einer Verbreitungskarte voraussetzen, die für diesen Brauch zumindest in letzter Zeit nicht vorgenommen wurde. Festzustellen ist jedoch, dass der Brauch in dieser Form insbesondere in Bad Kötzting und Umgebung sowie dem Lamer Winkel bis heute sehr verbreitet und gebräuchlich ist.

Literatur

  • Dettmer, Hermann: Die Figur des Hochzeitsbitters. Untersuchungen zum Einladungsvorgang und zu Erscheinungsformen, Geschichte und Verbreitung einer Brauchgestalt. Frankfurt 1976.
  • Fähnrich, Harald: Lebendiges Brauchtum der Oberpfalz. 4. Aufl. Weiden 2007.
  • Matz, Jutta: Hochzeitsgeschenke. In: Keß, Bettina (Hg.): Geschenkt. Zur Kulturgeschichte des Schenkens. Heide 2002.
  • Ramming, Jochen: Die Rückkehr der Hochzeitslader. Über die Folklorisierung der altbayerischen Prokuratoren. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1998. München 1998.
  • Remberg, Annette: Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt. Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung. Münster 1995.

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