Einstiegsinformation
„Grühnkohltouren oder Kohl- und Pinkelfahrten“ sind ein in Norddeutschland weit verbreiteter Brauch bei dem in der kühlen Jahrezeit Gruppen aller Art mit einem Bollerwagen stundenlang durch die Landschaft spazieren, dabei gemeinsam trinken und Spiele spielen und am Ende in einem Gasthaus einkehren, um dort ihr traditionelles Grünkohlessen zu sich zu nehmen und das Kohlkönigspaar wählen. Die Kohltouren gelten als gesellschaftlicher und geselliger Höhepunkt des Jahres.
Ablauf
Da der Grünkohl erst nach dem Frost geerntet wird, finden die Grünkohltouren in der kalten Jahreszeit statt. Vereine, Freunde, Kollegen, aber auch Touristen treffen sich zu stundenlangen Spaziergängen deren Ziel ein Gasthof ist, in dem sie dann ihr Grünkohlmahl essen können. Während dieser Spaziergänge wird musiziert, gesungen und es werden Spiele gespielt (u.a. Baumscheibenrollen, Ringewerfen, Würfelspiele, Gummistiefelweitwurf, Besenweitwurf und Kochlöffelgolf). Das wichtigste Spiel ist allerdings das „Boßeln“. Dabei wird die Gruppe, in der jeder Kohlwanderer ein „Pinnchen“ (eine Art Eierbecher, das als Schnapsstamperl dient) um den Hals trägt, am Anfang der Wanderung in zwei Mannschaften aufgeteilt. Beide Teams müssen abwechselnd die „Boßel“ (plattdeutsch für Kugel) so weit wie möglich werfen. Fällt die „Boßel“ in einen Graben oder ein Gebüsch wird sie mit einem „Kraber“ (einer Art Besenstiel mit Metallkorb) aus diesem herausgefischt. Das geht so lange bis die ganze Gruppe Kohlwanderer an ihrem Ziel (dem Gasthof) angekommen ist. Die Mannschaft, die dabei auf dem Weg am wenigsten Würfe gebraucht hat wird zum Sieger gekührt. Die Sieger eines jeden Spiels erwartet ein Preis, die Verlierer müssen trinken (meistens Korn). Doch eigentlich geht es den Teilnehmern bei den Spielen auch gar nicht um das Siegen, sondern um einen Anlass für den nächsten Schnaps. Statt dem „Pinnchen“ haben auch manche Kohlwanderer einen Zinnlöffel zum Trinken und später für das Essen dabei. Wichtiger Bestandteil der Grünkohltouren ist auch der Bollerwagen. In ihm werden Boßelkugeln, Getränke (Schnaps und Bier) und Kraber transportiert.
Ist man dann am Ende der Wanderung im Gasthof eingekehrt, erwartet die Wanderer ein traditionelles Kohlessen. Gegessen wird Grünkohl mit Salzkartoffeln, Fleisch wie zum Beispiel Kasslerbraten und ganz traditionell die „Pinkel“. Die „Pinkel“ ist eine Wurstspezialität aus Schweinefleisch und Hafergrütze. Ihr Name stammt von ihrer Hülle, da die Grützwurstmasse ursprünglich in einen Schweine- oder Rindermastdarm gepresst wurde und später wenn die Wurst geräuchert wurde wegen ihres hohen Fettgehalts oft „pinkelte“. Nach dem Essen trinkt man ordnungsgemäß den „Grünkohlschluck“. Das ist ein 32-prozentiger klarer Schnaps, der aus verschiedenen Kräutern hergestellt und eiskalt serviert wird. Er soll bei den Essern die Verdauung anregen. Am Ende einer jeden Grünkohltour und des Essens wird letzten Endes das „Kohlkönigspaar“ gewählt. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten. König und Königin werden entweder diejenigen die während des Essens am meisten Teller Grünkohl gegessen haben oder aber diejenigen die während der Tour die meisten Spiele gewonnen haben. Als Zeichen ihrer Königswürde bekommen die Kohlkönige einen Kohlstrunk als Zepter und Halsketten auf denen die Namen der ehemaligen Kohlkönige festgehalten sind. Mit der Wahl geht das Königspaar aber auch eine Pflicht ein. Denn sie müssen im nächsten Jahr die Grünkohltour organisieren und außerdem jedem Teilnehmer einen Schnaps ausgeben.
Wichtig für Grünkohltouristen ist auch zu wissen, dass während der Touren und auch beim Essen das Trinken von Wein verboten ist. Das soll angeblich daher rühren, dass der Grünkohl göttlichen Ursprung hat. Dionysos, der Gott des Weines, soll den Prinzen Lykurgos getötet haben. Aus dessen Tränen die auf den Boden fielen sollen dann die ersten Grünkohlpflanzen gewachsen sein und deshalb trinkt man aus Solidarität zu Lykurgos auf Grünkohltouren keinen Wein.
Außerdem ist es interessant, dass dem Grünkohl auch eine heilende Wirkung nachgesagt wird. So soll er einen Trinker auch vor dem „Kater“ am nächsten Tag verschonen, was ja gerade bei den Grünkohltouren eine angenehme Eigenschaft wäre.
Der letzte Tag der Grünkohlsaison ist der Gründonnerstag.
Hintergrund-Infos
Ursprünglich verabredeten sich die adeligen Herren und Honoratioren einer Stadt wenn der Frost länger anhielt zu einem Kutschrennen oder einer Schlittenfahrt auf dem Land. Dabei tranken sie um sich aufzuwärmen auch gern mal ein Glässchen Korn. Die Frauen mussten sich allerdings an Milch halten. Nach dem anstrengenden Tag kehrte man bei einem Kohlbauern oder Gasthof ein und es wurde Grünkohl mit geräuchertem Rindfleisch, Schinken, Wurst und Schweinskopf gegessen. Das erste schriftlich belegte Grünkohlmahl fand 1586 statt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts durften auch Bürgerliche auf „Kohlfahrt“ gehen. Die „Erfinder“ der heutigen Kohltouren ist aber wohl der „Oldenburger Turnerverbund“ (gegründet 1859). Dieser Verbund traf sich jedes Jahr zu einem Ausflug und wie jedes Jahr kehrten sie bei diesem auch in eine Wirtschaft ein und wollten Suppe essen. Allerdings hatte der Wirt keine Suppe mehr und daraufhin brachte er den Männern Grünkohl. Dieser schmeckte ihnen so gut, dass sie in nächsten Jahren immer wieder kamen um Grünkohl zu essen. So wurden über hundert Fahrten in der Vereinschronik des „Oldenburger Turnerverbundes“ verzeichnet.
Heute sagt man das Bremen und Umgebung die längste Tradition öffentlicher Grünkohlessen hat, aber Oldenburg nimmt sich die größte nationale Bedeutung heraus mit dem typisch „Defftig Ollnborger Gröönkohl Äten“. Die Friesen haben wohl die längste interne Tradition. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es angeblich fester Bestandteil eines jeden Haushaltes im Frühling Grünkohl zu essen. Dieser wurde symbolisch mit sieben oder neun Kräutern („Sövenderlei“ oder „Negenderlei“) zubereitet. Die Kräuter und der „heilende“ Grünkohl sollten Kraft verleihen und so das Essen der Stärke dienen.
Die Grünkohltouren sind zum richtigen Trend geworden. Es gibt eine richtige Tourismusbranche die mit den Touren wirbt, man kann in Grünkohlshops Zubehör und Spiele für die Touren kaufen und es gibt sogar Bollerwagenverleihläden. Damit die Geschichte, der Brauch und die Tradition nicht verloren geht kann man sogar an der NWZ Grünkohlakademie einen Abschluss als „Master of Grünkohl“ machen.
Literatur
- Althergebrachte Feste und Bräuche in Bremen. Bremen: Weser Kurier, 1970.
- ARD Buffet. Speisekarte Deutschland. München: Zabert Sandmann, 2011.