Einstiegsinformation
Das Gautschen ist ein handwerklicher Brauch, mit dem ausgelernte Buchdrucker in den Rang von Gesellen erhoben werden. Seit dem 19. Jahrhundert wird er von den Druckern in einer der Taufe ähnlichen Zeremonie ausgeführt: Die „Cornuten“, wie die angehenden Gesellen auf Grund der typischen historischen Kopfbedeckung genannt werden, werden dabei unter Anleitung des Gautschmeisters mit Wasser nass gemacht. Erst mit dem darauffolgenden Erhalt einer Urkunde zählen sie zu den vollwertigen Mitgliedern der Buchdruckerschaft.
Ablauf
Der Ablauf des Gautschens wird durch den Gautschmeister bestimmt. Er ist in der Regel auch der für die Lehrlinge zuständige Meister im Druckereibetrieb. Ihm zur Seite stehen der erste und der zweite Anpacker, die sich aus den bereits gegautschten Gesellen des Betriebes rekrutieren und für den Gautschmeister das „Grobe“ erledigen. Die ursprüngliche Anzahl von zwei Personen wird heute meist um mehrere Helfer erweitert. Aufgabe des Schwammhalters ist es, den nassen Schwamm bereit zu halten, um die Cornuten zu befeuchten. Diese Rolle wird heutzutage aber kaum noch besetzt, da der Schwamm meist von einem Wasssertrog oder einem Eimer abgelöst wurde. Auch die anwesenden Gäste und Zuschauer bekommen bei der Zeremonie eine Position zugewiesen, sie dienen als Zeugen des erfolgreichen Taufaktes.
Auf das Kommando „Packt an!“ werden die Täuflinge von den Packern nacheinander in ein Wasserbehältnis geworfen, auf einen feuchten Schwamm gesetzt oder mit einem Eimer Wasser übergossen, wogegen sie sich ursprünglich mit allen Kräften zur Wehr setzen sollten. Dabei hält der Gautschmeister jeweils eine lustige, derbe Ansprache. Die Neugesellen haben sich durch diesen Akt ihren Gautschbrief verdient und sind nun in den Kreis der Drucker vollwertig aufgenommen.
Aus einem Gautschbrief des Jahres 1884 aus Bern ist folgender Wortlaut bekannt:
Den alten Kunstgebrauch zu ehren,
Thät er sich weder sträuben und wehren.
Erhielt drei Stöße auf den Arsch
Und zappelte dabei wie ein Barsch.
Darauf bezahlte er blank und ba
Das altbekannte Gautschhonorar.
Mit dem Gautschhonorar bezeichnet man die Tradition, wonach die Täuflinge der versammelten Festgemeinde reichlich zu Essen und vor allem zu Trinken ausgeben müssen. Da die Ausbezahlung des Honorars bei der großen Anzahl an Gästen und Zuschauern heute wohl den Ruin für die jungen Ausgelernten bedeuten würde, wird der finanzielle Teil oft vom Druckereibetrieb übernommen.
Eine weitere Neuerung, die bei öffentlichen, inszenierten Festakten häufig anzutreffen ist, ist die historische, meist mittelalterliche Kostümierung der Akteure. Obwohl der Brauch bei weitem nicht so alt ist, dass Verknüpfungen mit dem Mittelalter möglich wären, wird das Gautschen in den derzeitigen Trend zu historischen Festen einbezogen. Aus der Kostümierung darf man aber nicht das Alter des Brauches folgern, auch wenn man in zahlreichen Zeitungsartikeln und Berichten eine typisch romantisierte Entstehungsgeschichte lesen kann.
Hintergrund-Infos
Brauchname und -geschichte
Der Begriff „Gautschen“ stammt aus der Fachsprache der Papiermacher und bezeichnet das Herauspressen von Wasser aus Papierbahnen. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wird er als Name eines Brauches der Buchdrucker verwendet, der den Übergang von Lehrlingen in den Gesellenstand markiert. Vorformen dieses Gautschens finden sich in den seit dem Mittelalter durchgeführten Despositionsspielen und Postulatszeremonien, die von den Zünften ausgetragen wurden und in das Gesellenleben einführten.
Der Brauch des Gautschens wurde von den Gesellen selbst eingeführt und fand bald eine gefestigte Position in der Druckerausbildung. Zeitweise war der Gautschbrief bei den Arbeitgebern in gleicher Weise akzeptiert wie das Lehrlingszeugnis. Ein rascher Bedeutungsverlust des Briefes und des gesamten Brauches entstand allerdings im Zuge der Industrialisierung.
Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde in vielen deutschen Druckereibetrieben das Gautschen wieder eingeführt. Die Intentionen, die hinter der Wiederbelebung stehen, zielen aber weniger auf Traditionserhaltung und Stärkung eines besonderen Handwerksbewusstseins in der „Schwarzen Kunst“ ab. Vielmehr stehen heute Unterhaltung und PR-Zwecke im Vordergrund. Ein Indiz hierfür ist beispielsweise, dass sich das Gautschen früher im kleinen Rahmen betriebsintern in der Druckerei abspielte. Heute gehen die Unternehmen mit der inszenierten Aufführung des Brauches auf öffentliche Plätze oder nutzen gar die Bühne eines Mittelalter- oder Volksfestes. Ein Beispiel dafür ist das Gautschfest der Firma Kessler in Bobingen bei Augsburg. Dies wurde schon sehr früh, in den 1950er Jahren wiederbelebt und von der Druckerei mit ihrer kleinen Festrund in das Zentrum des Dorfes verlegt, auf den Hauptplatz. Heute nutzen die großen Druckereien den Anlass oft auch gezielt, um die Presse anzusprechen und Geschäftskunden einzuladen. Das eigentliche Übergangsritual für die Lehrlinge ist nur der Anlass der Veranstaltung und tritt zunehmend in den Hintergrund.
Gewährsperson
- Gegautschter Drucker der Firma Kessler in Bobingen, interviewt am 15.12.2007.
Literatur
- Oschilewski, Walther G.: Der Buchdrucker. Brauch und Gewohnheit in alter und neuer Zeit. Berlin 1995.
- Sinz, Herbert: Lexikon der Sitten und Gebräuche im Handwerk. Freiburg 1986.