Butzegong in Hinterstein

Termin

Jedes Jahr in der Fasnacht, also in der Faschingszeit vom Dreikönigstag (06. Januar 2024) bis zum Aschermittwoch (22. Februar 2024) sind die Butzen an einem Wochenende in Hinterstein anzutreffen.

Einstiegsinformationen

Beim Butzegong schlüpfen die Hintersteiner Buben in bestimmte Rollen und sagen an jedem Haus alte Sprüche auf. Als Dank bekommen sie Mehl, Zucker, Eier und Schmalz, was beim örtlichen Bäck zu „Butzenzöpfen“ verarbeitet wird. Diese werden dann am „Butzenfest“, das gewöhnlich eine Woche später stattfindet, neben einer Brätknödelsuppe und Kuchen gegessen. Der alte Brauch des „Hinterschtuinar Butzegongs“, wie es im Allgäuer Dialekt heißt, also des Butzen gehens ist nur im kleinen Allgäuer Bergdorf Hinterstein beheimatet. „Bayerisch Zermatt“ wie der Ortsteil von Bad Hindelang aufgrund der Höhenlage auf 866 Meter auch genannt wird, liegt mit seinen ca. 500 Einwohnern eingebettet in den Allgäuer Alpen. Dieser Abgeschiedenheit ist es unter anderem zu verdanken, dass sich hier jahrhundertalte Bräuche bis heute erhalten haben.

 Empirische Dokumentation

Ablauf des Butzegong

Ein Butz.
Die ersten Vorbereitungen werden vom „Butzenmeister“, also dem Ältesten, bereits um die Weihnachtszeit getroffen. Er hat die Aufgabe, die Rollen und Sprüche zu verteilen und die Kostüme aufzubewahren und herzurichten. Am ausgewählten Wochenende treffen sich dann die Buben der jeweiligen Ortsteile: Vorderes, Mittleres und Hinteres Dorf. Ursprünglich hatte jeder Ortsteil seinen eigenen „Butzenzug“; dieses Jahr wurden aber das Vordere und Mittlere Dorf aufgrund der geringen Anzahl an Buben zusammengelegt. Um ca. 9 Uhr geht es los und die Züge ziehen von Haus zu Haus. Jeder beginnt an einem anderen Ausgangspunkt, damit es zu keinen Ungleichheiten kommt. Alle Butzenzüge ziehen nämlich durch das ganze Dorf und so bekommt der erste natürlich etwas mehr Naturalien als der letzte.
Butzenzug.
Die Reihenfolge des Zuges ist genau festgelegt und der Butzenmeister, der Chef der Truppe, achtet darauf, dass diese Folge eingehalten wird und Ordnung unter den Buben herrscht. Meist werden die Butzen schon erwartet und haben sie sich in einer Reihe aufgestellt, beginnen sie, ihre Sprüche nacheinander aufzusagen. Als Dank erhalten sie Mehl, Zucker, Eier und Schmalz. Gerne nehmen sie auch eine kleine Spende. Mit einem "Pfie Gott! Vergealts Gott" verabschiedet sich die lustige Gruppe und zieht weiter zum nächsten Haus. Am Ende des Wochenendes werden die gesammelten Lebensmittel zur Bäckerei von Hinterstein gebracht. Der Schtik, so wird die Bäckerei Weber in Hinterstein genannt, bäckt aus den Zutaten die guten Butzenzöpfe. Dies ist nicht immer ganz einfach, da die Buben ein breites Sortiment zusammentragen. So haben beispielsweise die Eier unterschiedliche Größen, das Schmalz ist manchmal Butter, manchmal Margarine. Dennoch ist der Butzenzopf jedes Jahr etwas ganz besonderes für die Buben und ihre Familien und geschmeckt hat er bisher immer.

Die Rollen & Sprüche

Die Ältesten der jeweiligen Gruppe übernehmen meist die 5 wichtigsten Rollen, nämlich den „Butz“, das „Tapferwieb“, „Bumperniggl“, den „Fähnder“ und den „Rößlar“. Weitere Charaktere wie der „Riese Goliath“, dr „Bearglarbüe“, „Bodesea“ oder der „Hauptmann“ werden je nach Anzahl der Buben verteilt. Der Butzemeister ist die wichtigste Person, der Butz. 2014 waren im Mittleren Dorf folgende 12 Butze, die die jeweiligen Sprüche aufsagten:
Der Butz Rößlar.
Rößlar Reite hea also fescht und grieße meine Fasnachtsgäscht. Eine wie de Ôndre, Apotheker nicht genannt, reitet der Kaiser durchs ganze Land. I kumme hea vu Sachse, wie die schöne Mädle uf de Bäume wachse. I kumme hea vu Wange, weiß it, bin i hea gritte oder hea gange. I hô a Hüs, wie a Nuß, wenn i voana ning gông bine hinda duß. Hoch mein Fasnachtsroß! Der Fähnder
Der Butz Fähnder.
I bi dr Fähnder rechtens gut trage die Feder auf meinem Hut. I schwing de Fahne zwei- dreimal herum, daß ich ein gutes Mittagmahl bekomm. I hab de Fahne schon oft geschwungen ischt mir ganz wohl gelungen, hätt der Franzos was gsagt, hätt ihn nausgjaggt aus der Stadt. Riese Goliath In Breslau, Basl, Kopenhagen,
Der Butz Riese Goliath.
in Warschau kann mans auch erfragen in Petersburg und Wien, daß ich der Riese Goliath bin. Im München kann mans auch erfragen, da kann man gleich die Herkulesse fragen. Tausend Gulden setz ich dran wer mich zu Boden werfen kann. Da kam ein kleiner Herkuless und warf mich zu Boden, daß meine Brust zu wacker schien Der Wirt
Der Butz Wirt.
I bi dr Wirt vum dire Ascht, i beattle s Broat und gibs em Gascht. Dr Vadder hôt gmuit i sei verdoarbe ietz bine a wackra Kriegsma woare. DMüetter hôt gmuit i sei uf em Feald derbis hocke hindrem Ofe und zell s Geald us dr Täsche daß e ka dGurgl üswäsche. Der arm Bäck I bi a arma Bäck, hô nuits as Schtroah und Säck. I bi mit drei lidrena Katza i dMühle gfahre, i hô a Roß wo gar it zuicht
Der Butz Bäck.
und an Kneacht vu dArbat fluicht, dea frißt am Tag siebe Kessl vol Mües und zeche Laib derzüe, na seit dr Kog a hab no it gnüe!
Der Butz Wießehoan
Wießehoan I kumme hea vu Wießehoan, i hô ming Wieb im Bett verlorn, i hô se gsüecht im gonze Hüs, ietz ischt ber dHex bum Kemmat nüs! s Würschtle
Der Butz S_Würschtle.
I bi a kleis Würschtle ho Hünger und Dirschtle, i lôß bers güet schmecke, nôcha ka be lông schtrecke. Bearglarbüe
Der Butz Bearglarbüe.
I bi a kleina Bearglarbüe, im Summer hône kui gônze Hosa meah, dr Winter aber dea ischt lông, drum müeß i mit de Butze gông. Bodesea I kumme hea vum Bodesea, i hô kuine gônze Hosa meah, gônze Hosa müeße hông,
Der Butz Bodesea.
sunscht kane numma Butze gông. Bumperniggl I bi a kleina Bumperniggl, i bi a kleina Bear wie be Gott erschaffe hôt, so zottle hinda hea. Tapferwieb I bi s tapfer Wieb, trag de Sack uf minam Lieb. Ach Gott erbarm, ach Gott erbarm, siebe Suppa und kuine warm, bitt um a Drießgarle Meahl,
Der Butz Tapferwieb.
und a Batzele Geald! Butz
I bi dr Butz us dr Wurz
bi it zklei und bi it zkurz, bi a wackra Weabarskneacht, Müettlerle, Müettlerle lôß de schi grieße, an Dolle Knolle Schmôlz in Kibl ingegieße. It gar zklei, aber reacht groaß, daß es ber de Kibl it verschtoaßt (vgl.: Interview mit Frau Beate Lipp)

Das Butzefest

Etwa eine Woche nach dem Butzegong findet das Butzenfest statt. Dafür ist hauptsächlich die Mutter des Butzenmeisters verantwortlich, die für den ganzen Butzenzug ihres Sohnes Brätknödelsuppe kocht. Je nach Appetit und Knödelgröße verspeist hier der ein oder andere Butz schon mal 20 Knödel. Nach der Suppe gibt es noch Kuchen oder Krapfen, die von den Müttern der restlichen Butzen beigesteuert werden. Zwischen den einzelnen Gängen verteiben sich die Buben die Zeit mit Spielen, Schneeballschlachten oder einer Rodelpartie. Früher, so lässt sich in einem Bericht von Josef Ilmberger aus Hinterstein nachlesen, gab es an diesem Fest neben der Suppe pro Person 15 Butzenküchlein mit Apfelmus oder Zwetschgenbrühe. Außerdem Kaffee, Brot und ein Glas voll Bier. Auf das Bier wird heute verzichtet, aber der Bauch eines jeden Butz ist dennoch bis zum platzen voll. Dieser Tag, meist der Samstag, ist für die Buben ein Highlight, weil hier auch die Butzenzöpfe und natürlich das verdiente Geld verteilt werden. So kommen die Buben jährlich mit einem vollen Bauch, einem vollbepackten Rucksack und viel guter Laune nach Hause.

Brauch- und Rollenverständnis

Im Allgäu und auch besonders in Hinterstein wird großer Wert darauf gelegt, alte Bräuche zu erhalten. Die Liebe und der Bezug zur Tradition wird von Generation zu Generation weitergegeben und so ist jeder Bub stolz darauf, ein Butz zu sein.
Butzenzug.
Es gibt kein Aufnahmeritual. Allerdings müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, denn es darf nicht jeder mitmachen:
  • Mädchen dürfen bis jetzt nicht teilnehmen, obwohl wahrscheinlich Überlegungen aufgrund der geringen Bubenanzahl angestellt werden müssen.
  • Die Buben müssen in Hinterstein wohnen. Hier wird eine Ausnahme für zugezogene Familien gemacht: Wenn die Buben der Dorfgemeinschaft angehören, dürfen sie auch mitmachen.
  • Schulbuben: Butzegong dürfen nur die Buben im Schulalter, also von ca. 6 bis etwa 15 oder 16 Jahren. Kinder, die aufs Gymnasium gehen, hören auch in diesem Alter auf.
  • Alle Butzen müssen im Herbst zuvor im Funkenholz gewesen sein, da jeder Butzenzug am Funkensonntag einen Funken baut. Hier wird natürlich um die Größe gewetteifert und welcher Holzturm am schönsten brennt.

Organisation des Butzegongs

Organisiert wird der Brauch von den Buben selbst und natürlich hauptsächlich vom Butzenmeister. Sie legen gemeinsam einen Termin fest, was bei den heutigen Hobbies und Aktivitäten der Kinder nicht immer einfach ist. Das festgelegte Datum wird nicht ausgeschrieben; es wird mündlich weitergegeben und so erfahren alle Bewohner rechtzeitig, wann die Butzen bei ihnen klingeln werden.

Historische Genese, Verbreitung und Forschungsstand

Ursprung und Entwicklung des Butzegong

Der Brauch geht bis auf den 30jährigen Krieg (1618-1648) und die Franzosenzeit (1792-1815) zurück. Diese Einflüsse lassen sich auch deutlich an den Sprüchen erkennen. Die Rolle des Rumpe de bum, die 2014, möglicherweise auch wegen seiner Grausamkeit, nicht besetzt war, zeigt dies deutlich: Rumpe de bum bum, dr Kaiser gôht um, mit Händ und mit Fieß, mit fuirega Schpieß. Dr Schwed ischt kumme hôt alles gnômme, hôt Finschtre inggschlage, hôt s Blei üsgrabe, hôt Kugla drus gosse, hôt Büre verschosse, hôt dMeidle üfghenkt und Bieble vertränkt. Die Übersetzung für alle Nicht-Allgäuer: Rumpe de bum bum der Kaiser geht um. Mit Händen und Füßen mit feurigen Spießen. Die Schweden sind gekommen haben alles genommen. Haben Fenster eingeschlagen, das Blei ausgegraben. Haben Kugeln daraus gegossen und Bauern erschossen. Sie haben Mädchen erhängt und die Buben ertränkt. Die Schrecken des Krieges und die Auswirkungen auf die Bevölkerung werden hier deutlich sichtbar. Aber auch der Erhalt von Erinnerungen und Erfahrungen ist Teil eines Brauches und so ist es wichtig, dass auch die heutige Generation die Grausamkeit von Gewalt erkennt, um weitere schlimme Kriege zu verhindern. Sicher ist auch, dass das Butzegong seinen Ursprung als Bettelbrauch hat. Früher sind in der Fasnachtszeit die Kinder oft Mäschgerle gange. Sie haben sich also verkleidet und kleine Sprüche oder Aufführungen an den Häusern aufgeführt. Da die Freizeitmöglichkeiten in damaligen Zeiten sehr begrenzt waren, kam diese Abwechslung sowohl den Kindern als auch den Bewohnern sehr gelegen. Als Dank gab es etwas Geld oder einen Happen zu essen. Besonders in der armen Kriegszeit, in der es viel Not und Hunger gab, war so manche Familie um ein paar einfache Lebensmittel froh, die auf solche Weise den Weg in die hungrigen Mäuler der Kinder fanden. Natürlich macht auch die Modernisierung vor diesem Brauch nicht Halt. Da Hinterstein aber eine Gemeinde ist, die sehr auf den Erhalt alter Bräuche und Traditionen bedacht ist, sind die Veränderungen nur sehr gering. So sind die Sprüche seit Jahrzehnten unverändert, nur die vom Würschtle und vom Bearglarbüe sind nach dem 2. Weltkrieg dazugekommen. Selbstverständlich sind die Kostüme heute etwas moderner, aber der Grundcharakter ist unverändert. Die Fahne des Fähnder ist beispielsweise schon unzählige Male Butzen gegangen.

Verbreitung

Hinterstein ist, wahrscheinlich auch durch seine Abgeschiedenheit bedingt, schon immer etwas Besonderes gewesen. Die Bewohner bleiben gerne für sich und früher gab es handfeste Rivalitäten zum einzigen direkt benachbarten Ortsteil Bad Oberdorf. Wenn auch diese Feindseligkeiten glücklicherweise durch die gemeinsame Schule in Bad Hindelang größtenteils niedergelegt wurden, besteht bis heute eine bestimmte Spannung, die unter anderem vom Stolz der jeweiligen Dörfer herrührt. So kommt es, dass sich das Butzegong nur in Hinterstein erhalten hat. Es wäre, früher wie heute, nicht denkbar, dass ein Bub aus einem anderen Dorf und schon gar nicht aus Bad Oberdorf an dem Brauch der Butze teilnimmt.

Literatur

  • Interview mit Beate Lipp
  • Fasnacht ist Brauchtum in Bayern, Herausgeber: Regionalverband Bayerisch Schwäbische Fasnachtsvereine e.V., 1. Aufl., 2000
  • Text Butz und Butzewible - ein Oberallgäuer Fasnachtsbrauch von Josef Ilmberger, Hinterstein (Allgäu), um 1900

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