Brautentführung

Eine gestohlene Braut.

Einstiegsinformation

Die Brautentführung stellt einen besonders in Süddeutschland verbreiteten Volksbrauch während der Hochzeitsfeier oder des Hochzeitsessens dar. Traditionell fallen sowohl Planung als auch tatsächliche Durchführung in den Aufgabenbereich des Hochzeitsladers. Heutzutage allerdings wird die Entführung vom Trauzeugen und meist weiteren Freunden des Brautpaares ausgeführt. Der Brauch, der auch unter den Begriffen des „Brautverziehens“, „Brautstehlens“ oder „Stehlens der Braut“ bekannt ist, genießt wachsende Popularität, insbesondere in Bayern, Österreich und der Schweiz.

Ablauf

Die Brautentführung wird brauchgemäß vor oder nach der Schenkung des Brautpaares  oder aber während eines bestimmten Abschnittes des Hochzeitsessens (z.B. beim Krautessen initiiert. In einem geeigneten Moment, in dem die Aufmerksamkeit des Bräutigams abgelenkt ist, wird die Braut von einem Trauzeugen oder Freunden des Paares in ein nahe liegendes Lokal oder an einen Ort in der Nachbarschaft gebracht und somit aus der Hochzeitsgesellschaft herausgerissen. In bayerischer Tradition wird die Entführung durch einen Tanz eingeleitet, während dessen der Entführer die Braut im wogenden Tanz wegführt. Meist wird im Voraus bereits eine bestimmte Wirtschaft ausgewählt, in der die Braut sowie ihre Angehörige auch sonst häufig gesehene Gäste sind. Sobald der Bräutigam die Entführung seiner Angetrauten bemerkt, muss er sich auf die Suche nach ihr begeben. Einige Vertraute, bei kleineren Feiern auch die gesamte Hochzeitsgesellschaft, begleiten ihn.

Unterdessen genehmigen sich Braut und Brautentführer mehrere Getränkerunden, bevorzugt Wein oder Sekt, die sie aber nicht selbst bezahlen, sondern bis auf das Weitere offen lassen. In manchen Fällen werden bei der Brautentführung sämtliche Kneipen und Gaststätten der Umgebung aufgesucht. In jeder dieser Lokalitäten nehmen die Entführer und die Braut ein Getränk zu sich, das sie allerdings ebenfalls nicht bezahlen. Sie hinterlassen lediglich ihre Anschrift für den Fall, dass der Wirt sie nicht kennt und der Bräutigam dort nie auftaucht.

Macht der Bräutigam die Braut ausfindig, so muss er die entstandene(n) Zeche(n) begleichen. Ältere Berichte nennen eher den Hochzeitslader bzw. Brautführer als Zahlenden; da diese eher altmodischen Rollen inzwischen jedoch nicht mehr sehr häufig Anwendung finden, zahlt heutzutage vorzugsweise der Bräutigam die Auslöse seiner Braut. So gewinnt er die Braut symbolisch aus den Händen der Entführer zurück. Neuerdings fällt die Begleichung der Zeche den Brautentführern zu, wenn der Brautstrauß versehentlich bei der Hochzeitsgesellschaft zurückgelassen wurde. In diesem Fall kauft der Bräutigam die Braut mit dem Brautstrauß frei. Unter Umständen muss er sich dabei noch zusätzlichen Aufgaben stellen, wie etwa drei Wünsche der Braut erfüllen (vier Wochen Geschirrabwaschen, Staubsaugen etc.).

Nachdem das Brautpaar so wieder vereinigt wurde, begeben sich Brautpaar, Brautentführer und die restlichen Brautsuchenden wieder zur Hochzeitsgesellschaft ins Wirtshaus der Hochzeitsfeier.

Varianten der Brautentführung

Die Brautentführung kennt zahlreiche regionale Ausprägungen, die es erschweren, diesen Brauch einheitlich zu präsentieren. An dieser Stelle soll nur eine kleine Auswahl an Abwandlungen vorgestellt werden.

In älteren Abhandlungen über Hochzeitsbräuche in Deutschland findet sich nur selten die Erwähnung der Brautentführung. Hier erscheint vielmehr das heimliche Stibitzen eines Brautschuhs während des Hochzeitsessens als üblicher Brauch, wobei nach Entwenden des Schuhs dieser mit Blumen und glücksbringenden Symbolen wie etwa Störchen (Hinweis auf Kindersegen) geschmückt wird. Daraufhin wird ein mit Rotwein gefülltes Weinglas hineingestellt und der Schuh auf dem Tisch platziert. Nachdem sich das Brautpaar die ersten Schlucke genehmigt hat, wird das Glas immer wieder nachgefüllt und die ganze Hochzeitsgesellschaft trinkt daraus. Der Brauch endet damit, dass die Braut ihren Schuh zurückerhält und der Bräutigam bzw. der Brautführer die Zeche bezahlt. Hierbei wird der Schuh als segenstragender Gegenstand verstanden, welcher die Ehe heiligen soll. Dass ein Stück des Brautkleides oder der Brautkranz gestohlen wird, war früher ebenfalls verbreitet.

Laut anderer, teilweise aktuellerer Berichte wird die Braut in das Herren- oder Weinstübchen des Hochzeitswirthshauses […] gebracht, wo Räuber und Geraubte ein Paar Stündchen still vergnügt bei süßem Weine eine Separatzeche halten und zwar meist auf Kosten des nachlässigen Brauthüters oder des Bräutigams selbst. Diese Variante bezieht mehr Gäste als die Kneipentour mit ein, da etwa Bar oder Partykeller der gesamten Hochzeitsgesellschaft offen stehen. Unter musikalischer Untermalung wird dort Wein und Schnaps im Verlauf von Spielen, Schunkel- und Trinkliedern reichlich verabreicht (Beobachtungen der Autorin bei einer Hochzeit im oberbayerischen Siegertsbrunn, 2008). Nach einiger Zeit findet der Bräutigam die Gesellschaft und alle kehren zur gemeinsamen Feier zurück.

Im Gebiet des Samerberges (Rosenheimer Gegend) wird dem Bräutigam für die Zeit der Brautentführung ein Brautersatz in Form einer wilden Braut, d.h. eines Mannes in Damenkleidern, zur Seite gestellt.

Österreich kennt zudem den Brauch des Maschkara oder Maschkern, der darin besteht, dass nicht eingeladene Freunde oder Bekannte des Brautpaares die Hochzeit unterbrechen und die Braut entführen.

Besonders gewissenhafte Entführer können auch im Vorhinein, in den Gaststätten, die sie aufsuchen wollen, einen dekorierten Tisch reservieren, dort kleine Geschenke für die Braut hinterlegen, einen Programmpunkt organisieren (Sänger, Überraschungsgast) oder beispielsweise das Begleichen der Rechnungen schon abgeklärt haben, damit der Wirt beim etwaigen Ausbleiben des Bräutigams nicht beunruhigt ist. Für den Bräutigam können auch Hinweise ähnlich einer Schnitzeljagd verteilt sein, die ihn den Weg zur Braut leichter finden lassen. Moderne Abwandlungen der Brautentführung lassen sich zuhauf finden. So wird es zunehmend üblicher, Spiele zum Freikaufen der Braut zu entwickeln; doch auch die Braut muss sich immer häufiger selbst verschiedenen Aufgaben stellen, um sich ihres Bräutigams als würdig zu zeigen, beispielsweise die Nase ihres Angetrauten durch tastenden Vergleich mehrerer Nasen erraten (Beobachtungen der Autorin bei einer Hochzeit im oberbayerischen Siegertsbrunn, 2008).

Interessante Einzelfälle

Binder berichtet von einem ungewöhnlichen Ausgang einer Brautentführung in Zwiesel (Regensburger Gegend) im Jahre 1982: Nachdem im Zuge der Brautentführung ein Großteil der Hochzeitsgäste den Bräutigam auf der Brautsuche in das Nachbardorf begleitet hatte und nun zum Gasthaus, welches die Hochzeit ausrichtete, zurückkehrte, beschwerte sich der Gastwirt lautstark darüber, dass ihm derart viele Gäste abhanden gekommen seien, dass er durch das Hochzeitsessen beinahe schon mit Gewinneinbußen zu rechnen hatte und dass der Wirt der Brautentführung weitaus mehr Einnahmen hätte erzielen können. Ein Hochzeitsgast reagierte auf diese Beschwerde mit einem Gedicht in der Regionalzeitung.

Eine weitere einzigartige Brautentführung ereignete sich 1970 in der Landshuter Region, als die Braut mithilfe der letzten Dampflokomotive aus dem Landshuter Hauptbahnhof entführt wurde. Der Bräutigam hatte nach einer etwa 20 Kilometer langen Fahrt nicht nur den verhältnismäßigen geringen Geldbetrag für Fahrpreis und Versicherung zu entrichten (etwa fünf DM), sondern auch den etwas höheren Preis für die Zugmiete sowie die Besatzung (ca. 300DM) . Es wird zudem von Fällen berichtet, in denen die Braut mehrmals entführt wird, was auch schon zu derart großen Verstimmungen geführt hat, dass der beleidigte Bräutigam ohne die Braut nach Hause zurückkehrte (BINDER 174).

Hintergrundinformationen

Verbreitung

Die Brautentführung ist traditionell insbesondere in Süddeutschland sowie in Österreich und der Schweiz verbreitet. Beschreibungen von Hochzeitsbräuchen im Norden Deutschlands liefern keinerlei Hinweise auf eine dortige Ausübung dieses Brauchs. Dagegen ist in vielen fränkischen, bayerischen und bayerisch-schwäbischen Ortschaften das Stehlen der Braut fester Bestandteil einer traditionellen Hochzeitsfeier, wobei von Dorf zu Dorf oft feine Unterschiede bestehen – etwa bezüglich der „Währung“ des Freikaufens, z.B. mehrere Flaschen Wein oder schlichtweg Begleichen der Zeche. Über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinaus scheint das Phänomen des Brautstehlens in dieser Form nicht weitläufig verbreitet zu sein.

Herkunft und Bedeutung

Da über den Brauch des Brautstehlens keinerlei zuverlässige Informationen hinsichtlich Herkunft oder Alter existieren, werden für die Brautentführung zahlreiche verschiedene Bedeutungen gefunden. Der Brauch wird häufig als „eine eindringliche Mahnung an den Bräutigam, seiner neuerworbenen Rechte und Pflichten des Schutzes und der Obhut sorgsam zu warten.“ verstanden. So soll der Bräutigam daran erinnert werden, auch nach der Eheschließung auf seine Braut aufzupassen. Oft wird die Brautsuche allerdings auch schlichtweg als Liebesbeweis des Bräutigams verstanden, wobei die Zeitdauer bis zum Auffinden symbolisch proportional zur Liebe zu seiner Braut steht. Damit in Verbindung stehend wird das Stehlen der Braut zudem häufig als ein Wettstreit zwischen Junggesellen (die meist die Gruppe der Brautentführer bilden) und den Ehemännern interpretiert, bei dem letztendlich der Ehestand den Sieg davon trägt (da der Bräutigam seine Braut vor den Junggesellen retten kann). Diese Rivalität soll den schwierigen, nicht konfliktfreien Übergang von einer Gesellschaftsgruppe in die andere verdeutlichen. Eine weitere Auslegung führt die Brautentführung auf das mittelalterliche ius primae noctis (lat., „Das Recht der ersten Nacht“) im Rahmen der Leibeigenschaft zurück. Demnach stellte der erste Geschlechtsverkehr mit einer bäuerlichen Braut im Zuge der Leibeigenschaft ein Vorrecht des Gutsherrn dar. Die Brautentführung könnte demnach als eine Flucht vor der Ausübung dieses Herrenrechts gedeutet werden. Die Brautentführung als ein Überbleibsel der früher auch im deutschen Raum verbreiteten Raubheirat zu verstehen, ist eine weitere Möglichkeit der Zweckauslegung (siehe unten, „Begriffsabgrenzung zum Brautraub).

Begriffsabgrenzung zum Brautraub

Häufig wird die elementare Begriffsdifferenzierung zwischen „Brautstehlen“ bzw. „Brautentführung“ einerseits und dem „Brautraub“ andererseits vernachlässigt und die unterschiedlichen Bezeichnungen synonym verwendet. Allerdings bezeichnet der gewaltsame „Brautraub“ im Rahmen einer „Raubheirat“ die gegen das Einverständnis der Braut und ihrer Eltern durchgeführte Entführung der Braut aus ihrem Wohnort oder gar ihrer Heimatregion. Diese Heiratsform ist auch heutzutage noch in einigen Kulturen (z.B. in Kirgisistan) verbreitet, entbehrt jedoch in allen Kulturen jeglicher rechtlicher Legitimierung und Anerkennung als Möglichkeit der Eheschließung. Als Zwischenform zwischen der spielerischen Brautentführung und dem ernst zunehmenden Brautraub zu Zwecken einer Raubheirat ist der zeremoniell ausgerichtete Brautraub zu nennen. Dieser Brauch, der häufig in Verbindung mit einem Brautkauf durch die Eltern des Bräutigams auftaucht (etwa im traditionellen Sizilien), wird im Rahmen einer einverständlichen Heirat durchgeführt, beinhaltet aber von Seiten der Braut ein bewusstes „Sichweigern und Sichzieren, Weinen, Flüchten und Verstecken“. Damit wird der traditionelle Wert der Braut für die eigene Sippe und Familie unterstrichen. Häufig wird die Brautentführung als eine Reminiszenz an den Brautraub verstanden.

Thematisierung in den Medien

Der Brauch des Brautstehlens wird in einer Folge der Krimireihe „Tatort“ dem Brautpaar zum Verhängnis: In „Bluthochzeit“ (Erstausstrahlung am 19. September 2010 auf ARD und SWR) befindet sich unter den Entführern der jungen Braut einer Allgäuer Hochzeit ein Mörder, der sich in der Vergangenheit einer Geiselnahme mit Erschießung der Geisel und anschließender Flucht schuldig gemacht hat. Die Brautentführung, welche die Fünfergruppe mittels eines Jeeps durch ländliche Regionen in der Nähe des Bodensees lenkt, entwickelt sich so zu einem gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel für den Bräutigam und Kommissarin Blum. Brauchgemäß befinden sich unter den Brautentführern nur Junggesellen, was in diesem Fall die Situation jedoch noch zusätzlich verschärft, da auch ein früherer Liebhaber der Braut, der Sohn des Bräutigams, mit von der Partie ist.

Literatur

  • Bächtold-Stäubli, Hanns: Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besondrer Berücksichtigung der Schweiz, Band 1. Basel [u.a.]: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde,
  • Binder, Egon M.: Liebe auf bairisch. Liebesglück, Liebesleid und Heiratsbrauchtum unterm Rautenhimmel. Grafenau: Morsak, 1984.
  • Fahl, Andreas (Hg.): Lebenslauf – Lebensfeste. Geburt, Heirat; Begleitheft zur Ausstellung. Hannover: Historisches Museum, 1994.
  • Fehrle, Eugen: Deutsche Hochzeitsbräuche. Jena: Diederichs, 1937.
  • Koschier, Franz: Kärntner Hochzeit. Klagenfurt: Kärntner Heimatwerk, 1981.
  • Mümmler, Manfred: Hochzeit in Franken. Wien: Oberfränkische Verlags-Anstalt, 1989.
  • Remberg, Annette: Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt. Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung. In: Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 90. Münster [u.a.]: Waxmann, 1995.
  • Schmidt, Leopold: Hochzeitsbrauch im Wandel der Gegenwart. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, 1976.
  • Völger, Gisela / Welk, Karin von (Hg.): Die Braut. Geliebt, verkauft, getauscht, geraubt; zur Rolle der Frau im Kulturvergleich, Band 1. Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum, 1985.
  • Weber-Kellermann, Ingeborg: Saure Wochen, frohe Feste. Fest und Alltag in der Sprache der Bräuche. München/Luzern: Bucher, 1985.
  • Werner, Elyane: Bayerisches Hochzeitsbuch. Vom Anbandeln bis zur goldenen Ehr. München: Ludwig, 1991.
  • Willi, Gerhard: Alltag und Brauch in Bayerisch-Schwaben. Augsburg: Wissner, 1999.
  • Wolf, Helga Maria: Das neue Brauchbuch. Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 2000.