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Termin
Dieser Brauch findet alljährlich am Abend des 10. November statt.Einstiegsinformation
Das Wolfauslassen, oder auch Wolfaustreiben, findet alljährlich am 10. November in einigen Städten und Dörfern Niederbayerns statt. Dabei ziehen Gruppen von etwa fünf Personen von Haus zu Haus mit lärmendem Kuhglockengeläut. Dieser alte Hirtenbrauch soll an längst vergangene Tage erinnern, als der Wolf im Bayerischen Wald noch heimisch und auf den Schachten war und zum Ende der Weidesaison nochmals tief in den Wald hinein getrieben wurde.Ablauf
Heute ist der Brauch des Wolfauslassens noch in Langdorf, Schweinhütt, Lindberg, March, Drachselried, Bodenmais, Frauenau, Kaikenried, Kirchberg im Wald und Zwiesel anzutreffen. Der Hauptort des Brauchs ist Rinchnach. Die "Wölfe" (so nennt man auch die Mitglieder einer Gruppe) müssen sich bevor sie durch ihr Dorf ziehen bei den jeweiligen Gemeinden bereits am 9. November anmelden. Unter den "Wölfen" sind heutzutage neben den jungen Burschen auch ältere Herrschaften und vereinzelt auch Mädchen anzutreffen. Bei solchen großen Treffen der "Wölfe" kommen bis zu 600 Glocken zusammen. Von ihrem Treffpunkt aus marschiert die Truppe (auch "Wolf" genannt) in 3er oder 4er Reihen, angeführt vom Hirten, dem „Chef der Gruppe“, der einen kunstvoll verzierten Hirterstecken mit sich trägt, los. Bevor der Wolf sich in Bewegung setzt, ruft der Anführer laut: „Buam hats oisamt do?“ Auf das „Jo“ der Wölfe vergewissert sich der Hirte „Gäht koana mehr o?“ Nach dem „Na“ der Gruppe gibt er das Kommando „Na riegelds enk!“. Erst dann, wenn der Hirt den Stock hebt, geht das Glockenscheppern in ein melodisches Geläute über. Auf ihrem Marsch macht die Gruppe vor jedem Haus halt. Dort läuten sie dann so lange, bis die Tür geöffnet wird. Nun sagt der Hirt seinen Hirtenspruch auf. Danach bedankt sich die Gruppe mit kräftigem Geläut für die Spende, die sie üblicherweise vom Hausherrn erhält. Als krönender Abschluß ist ein gemeinsamer Auftritt aller Wölfe im Ortsker. Nach der eindrucksvollen Zeremonie am Dorfplatz (mit über 500 Wolferer), läutet man die Gasthäuser und Säle im Klosterort ab und stellt sich überall vor. Das Geläut ist ein Höllenspektakel bei dem ein unvorstellbarer Lärm entsteht. Zwischen dem Geläute findet man gerade genug Zeit um den verlorenen Schweiß durch eine Maß Bier zu ersetzen und sich mit einer kräftigen Brotzeit zu stärken. Am Tag darauf werden oftmals gemeinsame Veranstaltungen wie ein wohlverdientes Kesselfleischessen organisiert, mit dem der Brauch auch offiziell beendet wird. Dann lösen sich die Gruppen allmählich auf und das Wolfauslassen findet ein stilles Ende. Nur noch vereinzelt hört man ein paar nimmermüde Wolfauslasser, die wie jedes Jahr wohl auch heuer erst am Abend des Martinitages ihre Glocken nach Hause schleppen und bis zum nächsten Jahr auf dem Dachboden aufhängen.Hirtenspruch
Der Spruch, der heute wie damals in Rinchnach, der "Hauptstadt" des Wolfauslassens, aufgesagt wird, geht wie folgt:Aitz kimmt da Hirt mit seiner Girt hod 's ganz Johr mit Freid ausg'hirt. Aitz hirt i scho 6 bis 27 Wocha, aitz mecht i scho gern Feierab'nd mocha. 6, 27 Wocha is g'wiss a lange Zeit, hot se da Hirta af Martini g'freit. Da Hirta muass ausse bei Regn und bei Wind, dass erm da Dreck übern Osch owe rinnt. Da Hirta muass dreibn durch de enge Lucka, dass oa Rindvieh des ander dadrucka. Da Hirta muass springa über Disteln und Dern, dass er grod narrisch kannt wern. Kimmt er af d' Nocht hoam, steht a kiesblaue Suppn, am Tisch und a zau dirra Grias in da Rehrn, wenn er den no mecht, muass er 'n aa no begehrn. Wenn er ebs sogt von an bessern Essn haut erm Bäuerin oane in d' Fressn. Wenn er ebs sogt von am druckan Koh haut's erm oane a'ffe a'fs Lo'h. De Bauern sand oi, möngt koane Wiesen und Felder ei' zein, und wenn er a G'viechat eikimmt, möngs aa no owai schimpfa und g'rain. So vai wia draussn sand Grawentbirl, so vai han i g'hirt, Kia, Kaibe, Ochs und Stier. Owa aitzt hau i Gart am Tisch, dass wisst's, dass morgn Martini is!
Zusammenkunft in Rinchnach
Am nächsten Tag treffen sich alle Wolfauslasser der genannten Gemeinden früh abends wieder an ihrem Ausgangspunkt, um ins ein bis zwei Kilometer entfernte Rinchnach zu marschieren. Beim Einzug ins Dorf gibt sich jede Gruppe größte Mühe besonders laut zu sein, um ja aufzufallen. Besonderen Eindruck schindet der lauteste Wolf. Jetzt kommen auch die Mitmarschierenden Goaßlschnalzer zum Einsatz. Diese bestehen aus zwei bis fünf Burschen, die in Reih und Glied und im Takt ihre Goaßln schwingen. Beherrscht die Gruppe den sogenannten "Fünfer", was nichts anderes meint, als dass fünf Goaßln im Takt schwingen, so gehört diese zu den Besten unter allen Schnalzern. Sind alle Wölfe am Dorfplatz eingetroffen, beginnt dort die eindrucksvolle Zeremonie des gemeinsamen Läutens und Schnalzens.Wolferer-Duelle
Anschließend ziehen die Gruppen von Gasthaus zu Gasthaus, wo sich einzelne Wölfe unterschiedlicher Orte laufend Duelle liefern. Dabei gewinnt der, der am längsten und lautesten Läuten kann. Es ist der Anfang einer langen Nacht von Duellen, die nur von Pausen unterbrochen werden. In diesen stärkt man sich durch ein/zwei Maß und Brotzeit und nützt die Zeit zum Diskutieren über die Leistungen. In den frühen Morgenstunden erhält die erschöpfte Muskulatur der Burschen traditionsgemäß eine Stärkung durch ein saftiges Kesselfleisch. Nach dessen Verzehr treten dann alle den Weg nach Hause an.Hintergrund-Infos
Die Glocken
Anfangs waren die Glocken noch relativ klein und leicht. Sie wogen nur wenige Pfund und waren nicht größer als 20 cm, sodass sie durchaus noch als echte Kuhglocken gelten konnten. Doch wegen des mittlerweile zur Tradition gewordenen Konkurrenzkampfes zwischen den einzelnen Dörfern, wurden die Glocken quasi zu Kanistern, also überdimensional große Glocken, die einer speziellen Anfertigung bedürfen. Sie sind heutzutage bis zu einem Meter lang und an die 40 Kilo schwer. Da ist die Erschöpfung der Wolferer leicht nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie diese Glocken stundenlang umgehängt mit sich tragen und unter Einsatz ihrer ganzen Körpermuskulatur zum Läuten bringen.Die Goaßln
Im Gunde ist eine Goaßl nichts anderes als eine Peitsche. Sie weist aber einige Besonderheiten auf und wird in der Region so angefertigt: An einen circa 30 cm langen Stock ist ein 2,5 bis 5,5 m langer Strick gehängt, welcher am Stock einen Durchmesser von bis zu 10 cm hat, bis zur Spitze hin aber immer schmaler wird. Die Länge des Stricks muss dem Können dessen entsprechen, der schnalzt. Am dünnen Ende des Strickes wird ein zweiter Strick der selben Form, aber anderer Länge angebracht. Dieser sog. Vorhauer ist aus Hanf geflochten und nur etwa einen Meter lang. Das „Schnürl“, die Spitze des Vorhauers, ist das Stück davon, das beim gekonnten Schlag, einen lauten Knall erzeugt. Die Besitzer einer solchen Peitsche fetten jene vorzugsweise mit Wagenfett ein und tauchen sie dann in Sand, damit sie schwerer und somit lauter wird. Sie beginnen dann ab Mitte September mit dem Training.Blick in die Zukunft
Heutzutage scheiden sich die Geister, wenn es um das Wolfauslassen geht. Viele blicken mit Stolz auf eine Jugend, die eine Tradition, die an vergangene Tage erinnert, am Leben erhält. Und zwar in einer Zeit, in der man weder Wölfe noch Bären zu fürchten braucht. Andere hingegen formieren sich zum Widerstand. Denn mancherorts hat das Wolfauslassen eine Dimension erreicht, die von vielen als Plage empfunden wird. Dieser niederbayerische Brauch bleibt jedoch für viele Jugendliche der Gipfel des volkstümlichen Brauchtumkalenders. Wird aber dieser Brauch in zunehmendem Maße nach der Devise „immer größer, immer mehr, immer lauter“ betrieben, so degradiert sich dieser zu einer simplen Gaudi, zu einem niederbayerischem Event. Dann ist er zwar nicht weniger, aber auch keinenfalls mehr als daWolfeintreiben
Das Wolfeintreiben findet seit 1900 nicht mehr statt und ist mittlerweile fast vollständig in Vergessenheit geraten. Es sollte, wie auch das Wolfauslassen/ Wolfaustreiben, der Herde beim Aus- bzw. Eintrieb die nötige Sicherheit gewährleisten. Das Wolfauslassen kann als das „letzte Verscheuchen“ des Wolfes, bevor der Winter einbricht, in den tiefen Wald hinein gesehen werden. Das Wolfeintreiben dagegen hat mit der Absicht zu tun, den Wolf nach dem Winter wieder zurück in den Wald zu treiben. Das bezweckte man früher ebenfalls mit lauten Glockengeläut und Peitschengeschnalze.Wölfe und Hirten im Bayerischen Wald
Einst war der Wolf in ganz Europa verbreitet. Im Bayerischen Wald war das Raubtier, welches für das Vieh der Bauern eine Bedrohung darstellte, bis etwa 1850 heimisch. Zum Schutz des Viehs und insbesondere der Kühe führte man alljährlich eine Wolfstreibjagd durch. Zuvor wurden so genannte Wolfsgruben, ausgefüllt mit angespitzten Pfosten, ausgehoben, in die es den Wolf mittels Lärm zu treiben galt. Dieser wurde von den Männern durch das Schnalzen mit ihren "Goaßln" erzeugt und von den Kühen, denen man große Glocken umgehängt hatte mit denen das Wiederauffinden eines verloren gegangenen Tieres erleichtert werden sollte. Der 11. November, der Martinstag, war für die Landbevölkerung ein besonderer Tag. Martini kennzeichnete das Ende der Saison. Das Getreide war geerntet und zum Dreschen bereit, die Weidezeit war beendet. Folglich endete auch die Hirtenpflicht der Dorfhirten. Dies bedeutete für viele Jünglinge, dass sie zu ihren Familien zurückkehren konnten, denn nicht selten lagen die Waldweiden in einem weiter entfernten Teil der Ortsflur, so dass das Vieh nicht täglich zurück in den Stall getrieben werden konnte. Die Hirten hausten folglich den Sommer über zusammen mit dem Vieh überwiegend einsam in selbstgebauten, primitiven Holzhütten. Die Aufgabe der Hirten bestand darin, dafür Sorge zu tragen, dass die Bauern alle Tiere heil und wohl genährt zurück erhielt. Ab Martini blieben die Tiere dann im Allgemeinen bis zum erneuten Austrieb nach dem Winter - an Georgi (23. April) - im Stall. Der Martinstag war der Tag, an dem der Hirte seinen Lohn einforderte. Dieses Ereignis feierten sie dann auch, indem sie mit lautem Kuhglockengeläut und Peitschen schlagend durchs Dorf zogen. Am Vorabend des Martinitages, dem 10. November, wenn das Weidevieh heimgetrieben worden war, forderten die Hirten auf den Höfen ihre Entlohnung. Heute gehen Kinder und Jugendliche mit Viehglocken und Peitschen von Haus zu Haus, sagen den alten Hirtenspruch und erhalten dafür einen kleinen Obulus.Wolfauslassen 1875-1945
Das Lärmen der Wolfauslasser durch die Ortsfluren verlagerte sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts direkt in die Dörfer des Regener Landes. Im Zentrum stand nicht mehr wie früher die Lohneinforderung des Hirten, sondern das Heischen der Knechte und Hütebuben. Sie hatten begonnen den Zug des Hirten mit Kuhglockengeläut und Peitschenschnalzen zu begleiten, damit für sie auch etwas dabei abfiel. Heischebräuche stehen immer mit dem Erbitten und Einsammeln von Spenden in Zusammenhang. Solche Gaben waren zu jener Zeit für viele arme Leute lebensnotwendig, um den Winter zu überstehen. Die "Heischer" sprachen mit den besten Glückwünschen, in Form von sogenannten Heischensprüchen, ihre Dankbarkeit aus. Solche Sprüche haben meist immer die gleiche Form: So folgt auf die Begrüßung und Vorstellung eine Begründung für den Besuch oder auch eine Erläuterung des Inhaltes des aktuellen Festes, worauf der Spruch mit Glückwünschen und Danksagungen endet. Auch die Hirten hatten solch einen Spruch "auf Lager". Der Spruch variierte je nach Region oder Ort.Wandel nach 1945
Bis 1950 war der Beruf des Dorfhirten durch die zunehmende Technisierung überflüssig geworden. Das Heischen an Martini blieb trotz veränderter sozialer Strukturen erhalten und entwickelte sich gerade aus diesem Grund zu einem Brauch, der an alte Zeiten erinnern sollte. Von nun an stammten die Mitwirkenden auch aus den nichtbäuerlichen Schichten. Das oberste Ziel beim Wolfauslassen war es von nun an, Spenden für die Kassen der Burschenvereine zu sammeln. Den einzelnen "Posten", die zur Ausübung des Brauches heute zu füllen sind, sind inzwischen Bedeutungen zugeordnet, die Historisches hervorkehren. Der Anführer einer Wolfauslassergruppe soll demnach einen älteren Bauer dastellen (stellvertretende für den früheren Hirten). Die Gruppe, die er anführt, auch eine "Rinderherde". Dass alle "Rinder" auf einmal und gleichzeitig auf Geheiß des Hirten ihre Glocken zum Läuten bringen soll darauf hindeuten, dass früher viele Bauern ihren Kühen aufeinander abgestimmte Glocken umgehängt haben. War die typische "Melodie" der Herde gestört, war ein Rind verloren gegangen. Das große Wolfauslassertreffen am 10. November, ist schon in der Nachkriegszeit entstanden und ist seither ein fester Bestandteil im Kulturprogramm der Gemeinde Rinchnach. Seit 28.06.2009 ist Rinchnach auch Weltrekordhalter im Wolfauslassen und hat mit 1.370 "Kuh-Glocken", die alle gleichzeitig geläutet worden sind, einen Fabelrekord aufgestellt. Außerdem gibt es in Rinchnach die größte Sammlung mit fast 500 alten Kuhglocken.Weblinks
Literatur
- Binder, Egon M./Raimund Karl: 100 Besonderheiten aus dem Bayerischen Wald. Morsak Verlag, 1988.
- Zeiungsartikel der Passauer Neuen Presse vom Montag, 13. November 2006 und Montag, 12. November 2007.
- Döringer, Helmut „Mit Höllenspektakel den Wolf ausgetrieben“. In Passauer Neue Presse