Prolog des Christkinds in Nürnberg

Termin

Die Eröffnung des Christkindlesmarkt 2011.
Dieser Brauch findet am 1. Dezember 2023 statt.

Einstiegsinformation

Jedes Jahr wird in Nürnberg am Freitag des ersten Adventswochenende der „Nürnberger Christkindlesmarkt“ eröffnet. Das Nürnberger Christkind spricht dazu vom Balkon der Frauenkirche auf dem Nürnberger Hauptmarkt den feierlichen Prolog. Der Brauch erregt jährlich eine große mediale und touristische Aufmerksamkeit und ist für die Stadt Nürnberg von großer Bedeutung hinsichtlich einer touristischen Vermarktung regionaler Identität. Das Nürnberger Christkind dient dabei als zentrale Identifikationsfigur für die Nürnberger Bevölkerung. Der Termin des Brauches ist jedes Jahr der Freitag des ersten Adventswochenende. Die Eröffnungszeremonie beginnt um 17.30 Uhr auf dem Hauptmarkt in Nürnberg, es handelt sich dabei um einen variablen Termin. Im Jahr 2012, in welchem das Brauchgeschehen untersucht wurde, fiel der Termin auf den 30.11.2012. Im Jahr 2013 wird das Brauchgeschehen am 29.11.2013 stattfinden.

Ablauf

Die zugrunde liegende empirische Dokumentation bezieht sich auf den Prolog aus dem Jahr 2012. Das Brauchgeschehen wurde an einem Freitag den 30.11.2012 untersucht. Die Ankunft auf dem Hauptmarkt in Nürnberg erfolgte um 16.00 Uhr, in der Absicht eine entsprechende atmosphärische Raumwahrnehmung zu ermöglichen und sich die Gegebenheiten vor Ort mit entsprechendem Vorlauf betrachten zu können. Die äußeren Bedingungen waren trocken und die Temperaturen lagen knapp unterhalb des Gefrierpunktes.
Das Portal der Frauenkirche.
Das Brauchgeschehen lässt sich im Wesentlichen in drei Phasen aufteilen. Dabei ist zunächst die Verdichtungsphase auf dem Hauptmarkt vor Beginn der eigentlichen Brauchhandlung zu nennen. Bei der Ankunft auf dem Nürnberger Hauptmarkt um 16.00 Uhr fällt auf, dass bereits der halbe Platz gefüllt ist. Rund um den Kirchenvorplatz zieht sich ein abgesperrter Bereich, welcher von 8 Polizeikräften gesichert wird. An beiden Seiten der Kirche befindet sich jeweils ein großer geschmückter Weihnachtsbaum, sowie ein großer Lautsprecher und ein langer Stab an dessen Spitze sich ein Stern befindet. Bewegt man sich tiefer in den Platz hinein bemerkt man zudem die zentral auf dem Markt positionierte, und somit eine exponierte Stellung einnehmende, Medientribüne. Bereits zu diesem Zeitpunkt herrscht eine starke Medienpräsenz, Kamerateams von ARD, Sat. 1 und dem Bayerischen Rundfunk sind zu sehen, sowie einzelne Reporter, die Interviews in der Menge führen. Auffallend zu diesem vermeintlich frühen Zeitpunkt ist die Tatsache, dass die ersten drei Reihen unmittelbar an der Absperrung vor der Kirche bereits durchgängig besetzt sind. Dabei dominieren amerikanische und asiatische Touristen, sowie Eltern mit Kleinkindern das Bild. Die einheimischen Passanten wirken durchaus irritiert von diesem frühen Ansturm und verweisen im Vorübergehen mehrfach auf die bis zu 1,5 Stunden die es noch dauert bis die eigentliche Brauchhandlung beginnt. Ab 16.30 Uhr wird die Empore der Frauenkirche von einem Lichtkegel beleuchtet, allerdings ist dort zu diesem Zeitpunkt nur ein Vorhang zu sehen. Um 16.55 nimmt ein Kinderchor den Platz auf den Treppen der Frauenkirche ein. Die Publikumsdichte erreicht zu diesem Zeitpunkt ihren Höhepunkt. Es gestaltet sich zunehmend unmöglich einen Platz mit guter Sicht auf die Empore der Kirche zu bekommen. Unter den Zuschauern kommt es vermehrt zu Auseinandersetzungen um die Stehplätze. Über die Lautsprecher werden die Zuschauer von einem Sprecher gebeten sich mit dem Kinderchor zusammen auf das Singen des Weihnachtsliedes „Oh, du fröhliche“ einzustimmen. Dazu wird ein Probelauf durchgeführt, damit nach dem Prolog des Christkinds zusammen gesungen werden kann und der Übergang reibungslos verläuft. Zudem lockert das Singen die angespannte Stimmung auf dem Platz ein wenig auf und verkürzt die Wartezeit bis zum Beginn der eigentlichen Brauchhandlung. Um 17.30 tritt die Hauptphase des Brauchvollzugs ein. Die Glocke der Frauenkirche läutet, die Lichter auf dem Marktplatz und in den angrenzenden Gebäuden gehen allesamt aus, was vom Publikum mit einem Seufzen kommentiert wird. Die Posaunenbläser spielen eine Art Ouvertüre und der Kinderchor singt das Lied „O Heiland reiß‘ die Himmel auf“. Das einzige Licht welches noch strahlt ist der Lichtkegel, der auf die Empore der Kirche gerichtet ist, der Vorhang wurde inzwischen entfernt und das Christkind erscheint auf der Empore flankiert von jeweils einem kostümierten Engel und fünf Musikern mit Blechblasinstrumenten, gekleidet in Heroldskostümen. Ein Sprecher tritt unten vor der Kirche an ein Mikrofon und spricht einen Vorspruch. Im Anschluss an den Text singt der Kinderchor das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“, dazu ertönt Orgelmusik sowie die Bläser. Zum Ende des Liedes breitet das Christkind oben auf der Empore seine Arme aus, entfaltet somit die goldenen Flügel und spricht den feierlichen Prolog:
Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt, ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt: Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt! In jedem Jahr, vier Wochen vor der Zeit, da man den Christbaum schmückt und sich aufs Feiern freut, ersteht auf diesem Platz, der Ahn hat’s schon gekannt, was Ihr hier seht, Christkindlesmarkt genannt. Dies Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht, so flüchtig, wie es scheint, in seiner kurzen Pracht, ist doch von Ewigkeit. Mein Markt bleibt immer jung, solang’ es Nürnberg gibt und die Erinnerung. Denn alt und jung zugleich ist Nürnbergs Angesicht, das viele Züge trägt. Ihr zählt sie alle nicht! Da ist der edle Platz. Doch ihm sind zugesellt Hochhäuser dieses Tags, Fabriken dieser Welt. Die neue Stadt im Grün. Und doch bleibt’s alle Zeit, Ihr Herrn und Frau’n: das Nürnberg, das Ihr seid. Am Saum des Jahres steht nun bald der Tag, an dem man selbst sich wünschen und andern schenken mag. Doch leuchtet der Markt im Licht weit und breit, Schmuck, Kugeln und selige Weihnachtszeit, dann vergesst nicht, Ihr Herrn und Frau’n, und bedenkt, wer alles schon hat, der braucht nichts geschenkt. Die Kinder der Welt und die armen Leut’, die wissen am besten, was Schenken bedeut’. Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, seid es heut’ wieder, freut Euch in ihrer Art. Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein.
Dieser dauert ungefähr zwei Minuten und 50 Sekunden. Zum Ende des Prologs klatscht das Publikum dem Christkind zu, vereinzelt sind auch Jubelrufe zu hören. Im angrenzenden Rathausgebäude sind in den Fenstern und auf den Balkonen zusätzliche Zuschauer zu sehen. In diesen Räumlichkeiten halten sich auch der Oberbürgermeister und mögliche prominente Gäste auf, wie auf Nachfrage bei den zuständigen Institutionen herauszufinden war. In den Applaus hinein setzt nun der Kinderchor wieder ein und singt diesmal zusammen mit dem Publikum das Lied „Oh, du fröhliche“. Ab Beginn der dritten Strophe des Liedes ertönen die Kirchenglocken der Frauenkirche, sowie der benachbarten Sebaldus- und Lorenzkirche. Die Lichter der angrenzenden Gebäude und Marktstände erleuchten wieder und das Christkind sowie die Engel und die Posaunenbläser verharren auf der Empore. Das Christkind winkt dabei noch mehrere Minuten lang der Zuschauermenge zu, untermalt mit Orgelmusik. Die dritte Phase stellt die schnelle Auflösung der lange statischen Zuschauermenge dar, welche sich zu großen Teilen unmittelbar nach dem Erleuchten der Lichter in Bewegung setzt und somit die Verdichtung des Raumes auf dem Marktplatz entzerrt. Das Christkind verweilt währenddessen auf der Empore der Kirche. Nach kurzer Zeit erscheinen einige Fotografen auf dem Kirchbalkon und fotografieren das Christkind, bevor nach insgesamt ca. 10 Minuten der Vorhang wieder hochgezogen wird und das Christkind verschwindet. Die Brauchhandlung ist damit abgeschlossen. Im Zuge einer Nachbereitung wurden im Anschluss an die Brauchhandlung exemplarische Zuschauerbefragungen durchgeführt, hinsichtlich individueller Motivationen, Erwartungshaltungen und Bedeutungsebenen des Brauchgeschehens für die entsprechenden Zuschauergruppen. Insbesondere die Bedeutung des Brauchs, sowie die Rolle des Christkinds für Touristen im Kontrast zu einheimischen Motivationen, standen dabei im Vordergrund. Im Abschnitt Brauch- und Rollenverständnis wird auf diese Inhalte genauer eingegangen.

Akteure

Das Christkind im Jahr 2011.
Als zentrale Akteure sind im Zusammenhang mit dem hier untersuchten Brauchgeschehen zunächst die 17 jährige Christkind- Darstellerin Franziska Handke zu nennen, welche die Rolle im zweiten und somit letzten Jahr bekleidet. Desweiteren sind die beiden Mädchen vom Labenwolf- Gymnasium Nürnberg, Lisa Wilfert und Emanuela Solop zu nennen, welche die Rauschgoldengel verkörpern, sowie die zehn Posaunenbläser des Posaunenchors des CVJM Gostenhof, der mit 80 Kinder besetzte Junge Chor Nürnberg und Chorklassen der Musikschule Nürnberg, unter der Leitung von Dr. Matthias Stubenvoll und Wilfried Weisel, der auch den Vorspruch vorträgt. Die Orgel der Frauenkirche spielt Prof. Dr. Bernhard Meier. Als Akteure im weiteren Sinne müssen zudem das Personal des Opernhauses Nürnberg, welche die Akteure einkleiden bzw. schminken, der Fahrdienst der VAG Nürnberg, der die Akteure zur Frauenkirche bringt, das Sicherheitspersonal, die anwesenden Polizisten, Ton- und Lichttechniker und der Mann welcher das Christkind auf dem Balkon der Frauenkirche mithilfe eines Gurtes sichert, gesehen werden. Auch die enorme Medienpräsenz (nachweislich live: Das Bayerische Fernsehen, SAT. 1, Funkhaus Nürnberg, Charivari 98.6, Radio F, Gong97.1, Bayern 5 aktuell und Bayern 1) und die ca. 20.000 Zuschauer welche durch ihre Anwesenheit auf das Brauchgeschehen einwirken, müssen hierbei berücksichtigt werden. Was die Kleidung und Requisiten der einzelnen Brauchakteure betrifft muss unterschieden werden zwischen den Personen welche unmittelbar auf dem Vorplatz zur Frauenkirche agieren und jenen auf der Empore der Kirche. Der Dirigent des Kinderchors, die Kinder sowie der Sprecher des Vorspruchs tragen keine besonderen Kostüme, sondern wetterfeste Alltagskleidung. Die einzigen Requisiten, welche in diesem Kontext verwendet werden sind zwölf elektronisch leuchtende Sterne, die von den Kindern des Chors während des Brauchgeschehens gehalten werden. Die Christkind- Darstellerin trägt ein weiß- gold glitzerndes, mit goldenen Sternen versehenes Rollkragenkleid, das bis zum Boden reicht. Um den Bauch wird das Kleid von einem goldenen Gürtel gehalten. Über die Schultern und die Arme trägt sie einen mehrfach gefalteten goldenen Umhang, welcher an den Armen als flügelähnliche Erweiterung dient. Am Fußende ist das Kleid mit einem dünneren und einem dickeren goldenen Streifen abgenäht. Auf dem Kopf trägt das Mädchen eine gold- blonde Lockenperücke und auf dieser eine goldene Krone, auf welcher an der Stirnseite drei Steine angebracht sind. Der mittlere Stein ist dabei rot, während die äußeren beiden weiß sind. Die Krone kann damit als Bezugnahme zu den fränkischen Farben gedeutet werden. Die Rauschgoldengeldarstellerinnen tragen beide bodenlange rüschige Kleider mit ausladendem Schulterbereich. Die Kleider sind größtenteils in goldener Farbe gehalten aber auch durch rote und blaue Abnähungen ergänzt. Zudem tragen die Rauschgoldengel goldene Flügel und Handschuhe sowie goldene Hüte, beziehungsweise Kronen mit jeweils einem großen roten Stern auf der Stirnseite. Ein weiterer, diesmal goldener Stern, befindet sich auf Brusthöhe des Kostüms. Die Kostüme der Posaunenspieler erwecken einen durchaus mittelalterlichen Eindruck. Sie bestehen aus einer ockerfarbenen Unterbekleidung welche in orange- brauner Farbe abgesteckt ist. Darüber tragen die Musiker einen Umhang in rot- goldener Farbe, welcher an den Schultern schwarz abgesteckt ist. Auf der Vorderseite des Umhangs, in Brusthöhe, ist ein zweigeteiltes Wappen zu sehen. Die eine Seite ziert dabei ein schwarzer Adler, die andere Seite ist rot- weiß diagonal gestreift. Hierin kann eine Bezugnahme zu den fränkischen Farben gesehen und diese als bewusst erzeugter Bezug zu Franken und regionale Verankerung des Brauchgeschehens interpretiert werden. Auf dem Kopf tragen sie rotbraune Krempen Hüte mit weißen Federn. Die Beinbekleidung unterliegt keinen offensichtlichen Vorschriften und ist meist eine Jeanshose. Das Publikum ist als äußerst heterogen zu beschreiben. Es finden sich verschiedene Nationalitäten und Altersgruppen unter den Zuschauer. Aufgrund der starken medialen und touristischen Prägung des Brauchgeschehens, handelt es sich um eine in ihrer Menge nur schwer einzuschätzende Masse an Besuchern. Laut dem Nürnberger Presseamt muss allerdings von ca. 20.000 Besuchern ausgegangen werden.

Veranstaltungsort

Blick über den Hauptmarkt auf dem Marktplatz.
Die Performanz Situation teilt sich im vorliegenden Fall auf drei Aktionsräume auf. Dabei wäre zunächst, als nachhaltig unterteilter Aktionsraum, der abgesperrte Vorplatz der Frauenkirche zu nennen, auf dem sich der Kinderchor sowie der Dirigent und der Sprecher des Bibeltextes aufhalten. Dieser entsteht lediglich durch den bewussten Eingriff von Seiten der planenden Organe in Form der Absperrung, da es sonst zur Verschmelzung des Raumes für das Brauchgeschehen mit dem Zuschauerraum käme. Durch die beiden links und rechts des Kircheneingangs positionierten und geschmückten Weihnachtsbäume und die beiden großen Lautsprecher, ergänzt durch die Stäbe mit den darauf befestigten Sternen, entsteht darüber hinaus eine weihnachtlich geprägte Kulisse für die in ihr handelnden Brauchakteure. Der zweite zentrale Aktionsraum ist die Empore der Frauenkirche auf der das Christkind, die Engel und die Posaunenbläser in Erscheinung treten. In diesem Raum spielt sich mit dem Prolog des Nürnberger Christkinds das zentrale Element des Brauches ab. Auch hier sind wiederum 2 lange Stäbe mit auf ihnen befestigten Sternen zu sehen. Durch das Sprechen des Prologs und die Anordnung der Figuren auf der Empore, wird diese zur Bühne für die Brauchteilnehmer. Die Empore verschafft diesen zudem eine gesonderte Position, was insbesondere die Rolle des Nürnberger Christkinds und der Engel als himmlische Figuren zusätzlich unterstützt. Einen letzten Aktionsraum stellt der Marktplatz selbst dar. Insbesondere durch die Zuschauer, die Medienvertreter und die extra aufgebaute Medientribüne, welche zentral auf dem Platz positioniert ist, erhält der Raum eine spezielle Funktion und Struktur. Er wird durch die Bedeutungszuschreibungen der Brauchteilnehmer mit entsprechenden kulturellen Wertigkeiten angefüllt und fungiert für die Dauer des Brauchgeschehens nicht mehr als Marktplatz sondern als bewusst konstruierter Zuschauerraum.

Brauch- und Rollenverständnis

Die Hauptdarstellerin des hier analysierten Brauchgeschehens ist das Mädchen, welches das Kostüm und die Krone des Nürnberger Christkinds tragen darf. Um diese Rolle spielen zu dürfen findet alle zwei Jahre ein aufwendiges Auswahlverfahren statt. Im Gespräch mit der persönlichen Betreuerin des Nürnberger Christkinds, Frau Susanne Randel, konnte ein Einblick in das Rollenverständnis der Mädchen gewonnen werden, die über die Jahre hinweg das Nürnberger Christkind verkörpert haben. Frau Randel zeichnete dabei das Auswahlverfahren, welches von den Bewerberinnen durchlaufen werden muss nach und erläuterte, dass es vor allem ein Gefühl des Stolzes ist, das die Mädchen nach erfolgreicher Wahl zum Nürnberger Christkind erfüllt. Im weiteren Gesprächsverlauf, verweist sie allerdings auch auf die hohen Anforderungen, denen, die jungen Mädchen in ihrer Amtszeit ausgeliefert sind. Sprechproben mit entsprechend geschulten Theatermitarbeitern, immenser Termindruck, die eigene Nervosität, das Lampenfieber, sind nur einige wenige Stressfaktoren, die bei der Ausübung der erlangten Rolle zum Tragen kommen können. Dies wiederum erklärt die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuerin, die in der Zeit der Amtsausübung für die Mädchen als gute Freundin, Ersatzmutter, Koordinatorin und manchmal auch mahnende Institution fungiert. Dabei seien die Mädchen oft komplett unterschiedlich in ihrem Charakter und ihrem Rollenverständnis und somit auch in der Intensität mit der die Rolle als Nürnberger Christkind gelebt wird. Eine Schwierigkeit ist dabei die Tatsache, dass das Christkind eine zu 100% positive Figur darstellt und die Mädchen immer entsprechend auftreten müssen. Trotzdem, so Frau Randel, fällt es den Mädchen meist äußerst schwer nach Ende der Amtszeit als Nürnberger Christkind die Rolle abzugeben, was wiederum erklärt warum bei der einen oder anderen Brauchdurchführung in den letzten Jahren oftmals ein ehemaliges Christkind backstage zu finden war. Was das Brauchverständnis der Zuschauer betrifft, so konnte im Zuge der vor Ort durchgeführten Interviews, eine unterschiedliche Wertigkeitszuschreibung auf der Bedeutungsebene hinsichtlich der Brauchhandlung zwischen touristisch motivierten und einheimischen Zuschauern herausgearbeitet werden. Für das touristisch motivierte Publikum überwogen die Neugier am Fremden bzw. die Besonderheit des erscheinenden Christkinds und das Ausmaß des Nürnberger Christkindlesmarktes an sich. In einigen Gesprächen wurde deutlich, dass der Besuch auf dem Markt und die Teilnahme am Brauchgeschehen eingebunden sind in einen größeren touristischen Kontext. So kann es durchaus passieren, dass Zuschauer am gleichen Morgen noch Schloss Neuschwanstein besichtigt haben, am Abend den Prolog in Nürnberg besuchen und im Anschluss weiter nach Regensburg fahren. Auch im Kontext der Messe Nürnberg, welche zeitgleich stattfand, kommt es zu Besuchen des Christkindlesmarktes. So schilderte ein um 16.15 Uhr bereits in der zweiten Reihe stehender 31- jähriger amerikanischer Firmenmitarbeiter, er hätte am Morgen bei der Arbeit auf dem Messegelände von der Besonderheit des „Christmas Angel“ in Nürnberg erfahren und wolle sich das nun anschauen. Ganz andere Motivationen sind es hingegen, welche die einheimische Bevölkerung zu einer Teilnahme am Brauchgeschehen bewegt. Zum Teil handelt es sich um Familientraditionen, in welchen die befragten Personen schon als Kinder zusammen mit den Eltern dem Prolog des Christkinds vor Ort gelauscht haben. Wieder andere Befragte beschrieben den bewussten Übergang von Herbst zu Winter bzw. zur Weihnachtszeit in dem Moment in dem der Prolog gesprochen ist. Aber auch Eltern, deren Kinder als Brauchakteure im Kinderchor singen, oder verliebte Pärchen, die eine primär romantische Komponente mit dem Brauchgeschehen verbinden, sind hier zu nennen. Die mediale und kommerzielle Inszenierung des Brauches nehmen die einheimischen Besucher zwar bewusst wahr, die Bedeutungszuschreibungen weichen allerdings stark voneinander ab. Die einen empfinden es als störendes Element und beklagen eine zunehmende Anzahl an Medienvertretern und Touristen, die die Atmosphäre des Brauchgeschehens nachhaltig schädigen, andere wiederum bezeichnen es als Zugewinn für das Image Nürnbergs und eine Stärkung der regionalen und religiösen Identität oder als Möglichkeit der Distinktion gegenüber anderen Weihnachtsmarkteröffnungspraxen. Aus dem Kontext der Gespräche mit Teilen der einheimischen Bevölkerung lässt sich zusammenfassen: Der Markt und die Eröffnung durch das Nürnberger Christkind evozieren bei großen Teilen des einheimischen Publikums starke Emotionen, wie Kindheitserinnerungen, Heimatverbundenheit, Stolz und religiöse Rückversicherung und können daher als Indikatoren gesehen werden, die eine identitätsstiftende Funktion von Bräuchen untermalen. Die identitätsstiftende Funktion, welche auch in der medialen Berichterstattung rund um den Prolog gerne und vielfach aufgegriffen wird. Dabei wird in hohem Maße auf die historische Bedeutung des Nürnberger Weihnachtsmarktes und seine zentrale Rolle für die Stadt Nürnberg verwiesen. Auch die Entwicklungsgeschichte des Nürnberger Christkinds und des Prologs wird dabei immer wieder beleuchtet Außerdem werden neben der überregionalen und touristischen Strahlkraft des Christkinds und seiner marketingstrategischen Verwendung bei der Vermarktung der Stadt Nürnberg, durchaus auch kulturwissenschaftliche Spannungsfelder angeschnitten. Wenn beispielsweise in einem Hörfunkbeitrag des Bayerischen Rundfunks von der Positionierung zwischen „Tradition und Kommerz, beziehungsweise Moderne die Rede ist.“ Welche Dynamik Bräuche besitzen können, lässt sich erahnen wenn in der medialen Berichterstattung ein Nürnberger Weihnachtsmarkt in Chicago auftaucht. Das der Brauch in hohem Maße medial geprägt ist und auch auf eine entsprechende bewusste Inszenierung abgezielt wird, zeigt der Fakt, dass dem Amt für Presse und Information der Stadt Nürnberg die alleinige Zuständigkeit für das Nürnberger Christkind zufällt und die lokalen, sowie von außerhalb anreisenden Medienvertreter von Beginn an einen wesentlichen und begleitenden Teil des Brauchkomplexes darstellen. So berichten die Nürnberger Medien am Tag des Prologs exklusiv in Form von Live-Tickern vom Tagesablauf des Nürnberger Christkinds. Und auch das Interesse von Online- Diensten am Brauchgeschehen in Nürnberg erfährt eine Steigerung, erläutert Thomas Meiler vom Presseamt der Stadt Nürnberg. Insgesamt wurden in diesem Jahr rund 28 unterschiedliche Zeitungen, Fernsehsender, Fotoagenturen etc. akkreditiert welche auf der Pressetribüne Platz nahmen.

Organisation der Brauchveranstaltung

Um einen Einblick in die Organisationsstrukturen des Brauchgeschehens gewinnen zu können, fand am 26.02.2013 ein Telefoninterview mit der zuständigen Mitarbeiterin des Nürnberger Bürgermeisteramts, Frau Ingrid Schantora statt. Dabei konnten folgende Informationen gewonnen werden: Veranstalter und Organisator des Prologs bzw. der Eröffnung des Nürnberger Christkindlesmarktes ist das Bürgermeisteramt der Stadt Nürnberg. Das Presse und Informationsamt kümmert sich allein um das Nürnberger Christkind. Nach Ende der Brauchhandlung übernimmt schließlich das Markt Amt der Stadt die Verantwortung für die weiteren Wochen des Markttreibens. Das Bürgermeisteramt schreibt im August die Brauchakteure des Vorjahres per Brief an und erfragt darin das Mitwirken am diesjährigen Eröffnungszeremoniell. Der frühe Zeitpunkt für das Aussenden der Briefe ist dadurch zu erklären, dass bei möglichen Ausfällen einzelner Akteure genug Zeit bleiben soll, um für Ersatz zu sorgen. Mehrfache Wechsel im Personal in den letzten Jahren haben dabei zu einer erhöhten Sensibilisierung bei der Planung geführt. Zusätzlich wird die Sekretärin des Labenwolf- Gymnasiums gebeten, die beiden Engelsdarstellerinnen aus dem Vorjahr hinsichtlich eines Fortführens ihrer Rolle zu kontaktieren. Weitere Nachfragen ergehen beim Leiter der Musikschule, beziehungsweise beim Organisten des Vorjahres, bei den zuständigen Opernhausmitarbeitern, oder der Souffleuse. Was die städtischen Stellen, welche am Brauchgeschehen beteiligt sind, angeht so werden intern zeitnah entsprechende schriftliche Aufträge erteilt. Bei der Frage nach der Zuständigkeit für einzelne organisatorische Schritte verweist Frau Schantora auf historisch gewachsene Beziehungen, so beispielsweise zum bereits erwähnten Labenwolf- Gymnasium welches seit Jahren die Engelsdarstellerinnen bereitstellt, oder zum CVJM Gostenhof und seinen Posaunenbläsern. Was den Transport beziehungsweise die Organisation der Kostüme angeht, so stammen diese aus dem Nürnberger Theater und werden von einem speziellen Fahrdienst zur Anprobe gebracht. Auch dieser Schritt geschieht mit dem entsprechenden Vorlauf, um bei Bedarf möglichen Änderungsschneidereien genug Zeit einräumen zu können. Der Fahrdienst der VAG Nürnberg sorgt dafür, dass die Brauchakteure von der Maske im Opernhaus zur Frauenkirche gelangen. Eine kleine Polizeieskorte sorgt dabei für die nötige Sicherheit. Insgesamt sind mehrere Hundert Mitarbeiter der städtischen Stellen rund um das Brauchgeschehen auf dem Hauptmarkt im Einsatz, aber auch Polizei, Feuerwehr, Notarzt, Sicherheitsdienst etc. sind in hohem Maße beteiligt.In diesem Zusammenhang findet in den Tagen vor der Eröffnung des Marktes eine Sicherheitskonferenz mit allen Beteiligten Organisationen und Stellen statt bei der versucht wird, einen sicheren und reibungslosen Ablauf zu planen und zu gewährleisten. Interessant bei der Organisation der Eröffnungszeremonie, ist die Tatsache, dass es keinen Ersatz für die Brauchakteure gibt. Wäre ein solcher bei den Kindern für den Kinderchor noch zu verkraften, so wäre ein Ausfall eines Engels bzw. des Christkinds selbst ein ernstzunehmendes Problem für die Organisatoren. Mit entsprechender Nervosität wird daher der Verlauf des Brauchgeschehens verfolgt. Seit einigen Jahren kommt dazu noch ein gestiegenes Maß an Sicherheitspersonal bzw. Polizeikräften, welche vor Ort für einen sicheren Ablauf des publikums- medienwirksamen Brauchgeschehens sorgen sollen. Begründet wird dieses hohe Maß an Polizeipräsenz mit der Tatsache, dass es im Jahr der Anschläge von 11. September vermehrt zu Terrordrohungen gegen den Nürnberger Christkindlesmarkt kam und daher eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen als notwendig empfunden wurde. Am Eingang der Kirche sind daher Beamte mit einer Liste positioniert, auf welcher vermerkt ist, wer die Kirche betreten darf. Auch die steigende mediale Präsenz sorgte in den vergangenen Jahren für zunehmenden Optimierungsbedarf im Umgang mit den anwesenden Kamerateams und Reportern, wenn beispielsweise im Weg stehende Übertragungswägen verhinderten, dass Eltern ihre im Kinderchor beteiligten Kinder abholen konnten oder die Posaunenbläser vor der Kirche noch für einen abendlichen Fernsehbeitrag vorspielten, während der Organist in Absprache mit der Organisationsabteilung noch 15 Minuten Orgel spielen sollte und daraus eine doch eher störende Geräuschkulisse über dem Markt entstand. Und selbst auf der extra installierten Pressetribüne auf dem Hauptmarkt ist schon bald nicht mehr ausreichend Platz, um alle anwesenden Kamerateams entsprechend unterbringen zu können. Von Finanzierung und Sponsoring kann im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Eröffnungszeremoniell des Marktes nicht gesprochen werden. Gleiches gilt für mögliche exklusive Werbemaßnahmen für das Brauchgeschehen. Allerdings ist der Prolog des Nürnberger Christkinds in eine medial lancierte und marketingstrategisch breit angelegte Werbekampagne eingebunden. In Flyern, Zeitschriften, sowie auf extra angelegten Homepages wird der Nürnberger Weihnachtsmarkt und seine Spezifik als regionale Identifikationsfläche ausführlich dargestellt. Im speziell designten Logo des Christkindlesmarktes nimmt das Christkind sogar eine exponierte Stellung ein und fungiert als Maskottchen der Stadt und des Marktes. Auch die Sponsoren werden in diesem Zusammenhang genauer erwähnt und gewürdigt, insbesondere die Nürnberger Versicherungsgruppe als Hauptförderer des Marktes. Im vorliegenden Artikel soll sich allerdings primär mit dem zentralen Brauchgeschehen auseinandergesetzt werden. Die ausschließlich im Ehrenamt handelnden Brauchakteure erhalten dabei in geringem Ausmaß gehaltene Anerkennungsbeiträge vom Marktamt und vom Bürgermeisteramt und einen Dankesbrief vom Oberbürgermeister. Organist, Sprecher, Engel und Christkind erhalten vom Oberbürgermeister persönlich ein kleines Geschenk oder einen Gutschein als Dankeschön, aber auch in diesem Fall sind die Anerkennungsbeiträge eher symbolisch zu betrachten, von einer Entlohnung kann nicht gesprochen werden.

Hintergrund-Infos

Entwicklungsgeschichte

Die Entwicklungsgeschichte des Nürnberger Prologs beginnt zur Zeit des Nationalsozialismus. 1933 entwickelte der damalige Nürnberger Bürgermeister Willy Liebel die Idee, den Nürnberger Weihnachtsmarkt wieder an seinen angestammten Platz auf dem Nürnberger Hauptmarkt zu installieren und damit eine Aufwertung des als „Schatzkästchen des Reiches“ bezeichneten Nürnberg zu erreichen. Dazu sollte die Figur des Christkinds, durch eine verkleidete Schauspielerin verkörpert, leibhaftig erscheinen und den Markt eröffnen. Trotz der nachweislich religionsfeindlichen Haltung des nationalsozialistischen Regimes, gab es in diesem Fall wenig Bedenken die populäre Figur zur Verbreitung politischer Propaganda zu nutzen. In dieser ersten Form des Prologs lässt sich heute aus kulturwissenschaftlicher Perspektive eine „Invention of Tradition“, mit dem Ziel politische Inhalte in Form einer Brauchhandlung an die breite Bevölkerung weiterzugeben, erkennen. Zudem lässt sich festhalten, dass zentrale Brauchelemente wie die Rauschgoldengel, der Kinderchor, die Posaunenbläser und das Läuten der Kirchenglocken auch im Kontext der heutigen Durchführung des Brauches wiederzufinden sind. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges konnte der Markt in seiner bis dahin bekannten Form nicht stattfinden. Erst 1948 eröffnet wieder ein Nürnberger Christkind den Weihnachtsmarkt. Die Schauspielerin Sofie Keeser spricht den von Theaterdramaturg Friedrich Böger neu verfassten Prologtext und füllt die Rolle des Nürnberger Christkinds bis 1960 aus. Ihre Nachfolgerin als Nürnberger Christkind wird die gebürtige Nürnbergerin und Schauspielerin Irene Brunner. Der Prologtext nimmt zu dieser Zeit speziell Bezug zu einer gesellschaftlich- und vom Kriegsgeschehen massiv geprägten Lebensrealität Nürnbergs und zum historischen Wert des Marktes. Bis 1966 passt Friedrich Böger dabei den Prologtext stetig an die sich verändernden gesellschaftlichen Umwälzungen und den Wiederaufbau des zerstörten Nürnberg an. Erst seit 1966 besteht eine vermeintliche Kontinuität des Textes in seiner heute bekannten und verwendeten Form. Die Rolle des Nürnberger Christkinds wird dabei bis 1968 von der oben genannten Schauspielerin Irene Brunner ausgefüllt. 1969 wird schließlich erstmals ein Mädchen aus der Nürnberger Bevölkerung in einem speziell dafür erstellten Verfahren für die Amtszeit von 2 Jahren zum Nürnberger Christkind gewählt. Die Idee hierzu entstammt einem Besuch des Nürnberger Ältestenrates in Heilbronn. Der damalige Leiter des Pressamtes Walter Schatz entwickelte aus vor Ort vorgefundenen Vermarktungsmustern der Stadt Heilbronn, die Idee das Nürnberger Christkind in einem speziellen Verfahren wählen zu lassen, in der klaren Absicht die Figur des Christkinds zur offiziellen Werbeträgerin und somit zum Symbol für die Stadt zu machen. Mit der Absicht bessere Vermarktungsstrategien zu schaffen beziehungsweise die Besucherströme des Marktes besser koordinieren zu können, erfolgte 1966 eine Änderung des Brauchtermins auf den Freitag des ersten Adventswochenendes. Heute ruft die Stadt alle zwei Jahre, Mitte September nach den großen Ferien, in den Nürnberger Zeitungen zur Bewerbung für die Rolle des Nürnberger Christkinds auf. Die interessierten Mädchen haben dann 14 Tage Zeit sich auf die Rolle des Christkinds zu bewerben. Grundvoraussetzungen für die Chance auf den begehrten Posten sind dabei mindesten 1,60 Meter Körpergröße, ein Alter zwischen 16-19 Jahren, sie müssen schwindelfrei sein und seit längerem in Nürnberg wohnen. Bewerbungen aus dem Umland werden nicht berücksichtigt. Im Presse und Informationsamt der Stadt Nürnberg werden dann die Bewerbungen gesichtet und eine Vorauswahl getroffen. Bei einem gesonderten Pressetermin werden dann die 12 ausgewählten Bewerberinnen vorgestellt. Diese werden im Anschluss der Bevölkerung vorgestellt, die dann elf Tage Zeit hat um die vorgeschlagenen Mädchen zu wählen. Die besten Sechs treten abschließend vor eine 15-köpfige Jury, bestehend aus Vertretern der zuständigen Interessengruppen (Presseamtsleiter, Marktamtsleiter, Staatstheatervertreter, Kongress und Tourismuszentrale, Medienvertreter) und dem Christkind des Vorjahres. Diese wählen dann unter den sechs Finalistinnen das neue Nürnberger Christkind, welches für die folgenden zwei Jahre die Rolle ausfüllt. Was den kulturwissenschaftlichen Forschungsstand angeht, so findet sich auf Anhieb nur wenig Quellenmaterial, welches sich dezidiert mit dem Prolog des Nürnberger Christkinds und der Eröffnungszeremonie auseinander setzt. Allerdings lässt sich über das Stadtarchiv der Stadt Nürnberg einiges über den Nürnberger Christkindlesmarkt an sich und so auch über das Nürnberger Christkind und die Entstehungs- und Entwicklungshintergründe des Prologs herausfinden und damit wichtiges Quellenmaterial erheben, welches allerdings quellenkritisch behandelt werden muss. Dennoch lassen sich hier entscheidende und immer wieder in verschiedensten Textgattungen auftauchende Entwicklungslinien nachvollziehen. Zudem taucht im Zusammenhang mit dem Nürnberger Christkind mehrfach der Name der Nürnberger Volkskundlerin Susanne von Goessel- Steinmann auf, die sich insbesondere mit dem bekannten Nürnberger Rauschgoldengel befasst hat und eine Verbindungslinie zwischen dem Nürnberger Christkind und eben jenem Nürnberger Exportschlager herstellt, da dieser bei der Konstruktion der Christkind- Figur wie sie heute in Nürnberg bekannt ist eine tragende Rolle gespielt haben könnte. Auch Elemente der heiligen Lucia und des Verkündigungsengels sowie der heiligen Maria könnten bei der Schaffung der Christkind- Figur übernommen worden sein. Die Rekonstruktion der Christkind- Figur und ihrer Nürnberger Spezifik ist allerdings ein separates Forschungsfeld.

Allgemeine Verbreitung des Brauches

Der Brauch der feierlichen Eröffnung eines Weihnachtsmarktes durch das Sprechen eines Prologtextes durch eine Christkind- Figur ist im protestantisch geprägten Umland Nürnbergs als durchaus verbreitet zu bezeichnen. So findet sich bei Durchsicht der regionalen medialen Berichterstattung eine Christkind- Figur unter anderem in Neumarkt, Betzenstein, uvm. Dabei wird das Christkind vornehmlich als protestantische Figur wahrgenommen und nimmt somit eine Art Gegenposition zum katholisch geprägten Nikolaus ein. Das Brauchgeschehen rund um das Nürnberger Christkind ist in diesem Kontext allerdings als ein Spezifikum zu bezeichnen, welches sich nicht allein durch die regionale Bezugnahme im Namen der Hauptfigur begründet. Die professionelle, langfristig angesetzte Organisation und Planung des Brauchs, seine historische Bedeutung für Teile der Nürnberger Bevölkerung, sowie die mediale und regionale Inszenierung und die dadurch erreichte massive Publikumswirksamkeit des Brauches machen den Prolog des Nürnberger Christkinds zu einem Spezifikum unter diesen „Prologbräuchen“. Veranschaulicht wird die Strahlkraft und Dynamik der vorliegenden Brauchhandlung auch durch folgende Entwicklung: Im amerikanischen Chicago existiert ein Weihnachtsmarkt auf Grundlage des Nürnberger Vorbilds. Am Ende der zwei jährigen Amtszeit wird das Nürnberger Christkind zum „Auslands - Christkind“ und reist u.a. nach Chicago, um den dortigen Weihnachtsmarkt mit einem englischen, an das Nürnberg Original angelehnten aber an die Gegebenheiten Chicagos angepassten, Prolog zu eröffnen. Weitere Auslandsreisen in die Partnerstädte Nürnbergs gehören hier ebenso zum Programm und veranschaulichen einmal mehr die grenzüberschreitende Dynamik von Kulturmustern und Bräuchen und das ineinander greifen der Faktoren Kontinuität und Wandel.

Erkenntnisse allgemein

Der Prolog des Nürnberger Christkinds zur feierlichen Eröffnung des Nürnberger Christkindlesmarktes ist aufgrund seines Entstehungshintergrunds als ein eher junger Brauch zu bezeichnen. Dabei lässt sich entlang seiner Geschichte neben der Kontinuität wesentlicher Brauchelemente sowohl ein Funktionswandel des Brauchgeschehens, als auch ein zunehmender Trend zur medialen und touristischen Inszenierung von Bräuchen erkennen. So kann die Eröffnungszeremonie des Nürnberger Christkindlesmarktes, in ihrem Ursprung als Transportmittel nationalsozialistischer Propaganda installiert, ab 1948 als eine Form der Bewältigungsstrategie und der Aufarbeitung des erlittenen Kriegsleidens und der Zerstörung Nürnbergs gewertet werden. Das Nürnberger Christkind tritt als tröstende und identitätsstiftende Figur auf und erreicht eine Aufwertung im Alltag der Nürnberger Bevölkerung, welcher zu diesem Zeitpunkt von der vorherrschenden Lebensrealität nach Kriegsende dominiert wird. Ab 1969 wandelt sich das Brauchgeschehen erneut. In Form eines groß aufgezogenen Auswahlverfahrens wird ein junges Nürnberger Mädchen zur Symbolfigur der Stadt gewählt, in dem Bewusstsein, Nürnberg auch unter kommerziellen und touristisch motivierten Gesichtspunkten nach außen darzustellen. Aus der Bewältigungsstrategie heraus entwickelt sich das Brauchgeschehen somit zu einem Exportprodukt Nürnbergs und einem Touristen- und Medienmagnet. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive kann das Brauchgeschehen als Indikator für sozio- kulturelle Prozesse gewertet werden. Aus dem heutigen Zustand des Brauches und seiner Organisationsstrukturen lassen sich gesellschaftliche Prozesse, wie die zunehmende Mobilität und Medialität postmoderner Gesellschaftsstrukturen, sowie die Eventisierung einer vernetzten und globalisierten Welt deutlich herauslesen. Das Spannungsfeld aus Tradition und Kommerz, in dessen Schnittmenge sich vorliegender Artikel bewegt, lässt sich am Beispiel des Prologs des Nürnberger Christkinds und seiner bewusst entwickelten Dynamik über die Grenzen Nürnbergs und gar Deutschlands hinaus, eindrucksvoll belegen.

Gewährspersonen

  • Interviewpartner: Herrn Thomas Meiler, Redakteur im Presse- und Informationsamt in Nürnberg. Durchgeführt am 18.02.2013 in Nürnberg, Dauer: 22:25 Minuten. Zuständigkeitsbereich: Akkreditierung sämtlicher Journalisten und Medienvertreter im Kontext der Eröffnungszeremonie des Nürnberger Christkindlesmarktes.
  • Interviewpartner: Frau Susanne Randel, Mitarbeiterin im Presse- und Informationsamt in Nürnberg. Durchgeführt am 18.02. 2013 in Nürnberg, Dauer: 49:13 Minuten. Zuständigkeitsbereich: Betreuerin des Nürnberger Christkinds.
  • Telefoninterviewpartner: Frau Ingrid Schantora, Mitarbeiterin im Bürgermeisteramt in Nürnberg, Durchgeführt am 26.02.2013, Dauer: 1 Stunde 30:14 Minuten. Zuständigkeitsbereich: Organisatorin der Eröffnungszeremonie des Nürnberger Christkindlesmarktes.
  • Schantora, Ingrid, Mitarbeiterin im Bürgermeisteramt in Nürnberg, Durchgeführt am 26.02.2013, Dauer: 1 Stunde 30:14 Minuten. Zuständigkeitsbereich: Organisatorin der Eröffnungszeremonie des Nürnberger Christkindlesmarktes.
  • Schantora, Ingrid, Telefoninterview vom 26.02.2013.

Literatur

  • Buhl, Wolfgang: Der Nürnberger Christkindlesmarkt. Würzburg 1976.
  • Böckel, Annamaria: Voller Terminkalender für himmlische Wesen. Die Faszination des Christkinds ist ungebrochen. In: Nürnberg Heute. Zeitschrift für alle, die Nürnberg mögen. Hrsg: Stadt Nürnberg, Heft 77, Nürnberg 2004.
  • Dewald, Markus: Trend zum Event. Die neue Festkultur einer atemlos gelangweilten Gesellschaft. Ostfildern 2008.
  • Hobsbawn, Eric, Ranger, Terence: The Invention of Tradition. Cambridge 1992.
  • Moser, Dietz- Rüdiger: Bräuche und Feste durch das ganze Jahr. Freiburg 2002.
  • Offizielle Pressemappe des Presse- und Informationsamts Nürnberg: Nürnberger Christkindlesmarkt 2012: Eröffnung mit vielen Mitwirkenden. In: Nachrichten aus dem Rathaus. Informationsschreiben des Presse- und Informationsamtes der Stadt Nürnberg. Nürnberg, 27.11.2012.
  • Nürnberger Christkindlesmarkt 2012: Das Nürnberger Christkind. In: Nachrichten aus dem Rathaus. Informationsschreiben des Presse- und Informationsamtes der Stadt Nürnberg. Nürnberg, 27.11.2012.
  • Nürnberger Christkindlesmarkt 2012: „Das Städtlein aus Holz und Tuch“. In: Nachrichten aus dem Rathaus. Informationsschreiben des Presse- und Informationsamtes der Stadt Nürnberg. Nürnberg, 27.11.2012.
  • Nürnberger Christkindlesmarkt 2012: Chronik des Markts. In: Nachrichten aus dem Rathaus. Informationsschreiben des Presse- und Informationsamtes der Stadt Nürnberg. Nürnberg, 27.11.2012.

Karte