Hänselejuck in Überlingen

Termin

Dieser Brauch findet am 10.02.2024 statt.

Einstiegsinformation

Einmal jährlich findet in der Narrenhochburg Überlingen der Hänselejuck statt. Er ist als besonderer Nachtumzug und zugleich als Höhepunkt des Fastnachtstreiben in der Stadt Überlingen zu verstehen. Durchgeführt wird er von den Mitgliedern des Hänselezunft Überlingen, einer seit 1954 bestehenden Narrenzunft. Während des Nachtumzuges bewegt sich eine große Schar an Männern, im edlen und einzigartigen Hänselekostüm gekleidet, durch die Gassen der Stadt Überlingen hangabwärts bis zum Seeufer. Seinen Namen hat der Brauch von der Tatsache, dass die Hänsele dabei nicht bloß durch die Stadt hindurchgehen, sondern den Überlinger Hang wörtlich hinunter-„jucken“ - eine für den Hänsele charakteristische Art der Fortbewegung, die im Hochdeutschen auch durch das Verb „hüpfen“ annähernd beschrieben werden kann. Die gesamte Wegstrecke ist begleitet von fröhlichem Tanz, lautem Knallen der Karbatschen und neckischem „Schnurren“ der Zuschauer durch die zahlreichen Hänsele. Der Umzug endet schließlich in der Hofstatt Überlingens, also auf dem großen Rathausplatz, wo die Hänsele von zahlreichen Zuschauern empfangen und gefeiert werden. Dort wartet der Abend mit weiterem Tanz und großer Feierei auf, die Masse der Hänsele mischt sich nach und nach unter die weiteren Zuschauer und feiert mit ihnen gemeinsam bis zu später Stunde auf den Straßen und in den Kneipen und Bars Überlingens.

Ablauf

Der Hänselejuck fand im Jahre 2015 am Valentinstag, dem 14. Februar, statt. Der Abend war winterlich, aber trocken und bot damit sowohl für einen Besuch als auch für die Teilnahme an diesem Ereignis ideale Voraussetzungen. Der Ablauf des Brauchs unterliegt in jedem Jahr einer festen Struktur. Der Hänselejuck am Fasnetssamstag beginnt offiziell um 19.00 Uhr mit dem siebenmaligen Schlagen der Kirchturmuhren. Dieser Moment gilt als Startschuss: das Heer der als Hänsele verkleideten Jungen und Männer setzt sich in Bewegung, der traditionelle Nachtumzug kann beginnen. Während für die Zuschauer dieser Moment der eigentliche Beginn des Brauches ist, sind die Teilnehmer und Veranstalter schon weitaus früher mit den Vorbereitungen beschäftigt. Diese im Voraus stattfindenden Aktivitäten und Geschehnisse dürfen daher nicht unberücksichtigt bleiben. Den Überlinger Hänsele zeichnen viele Eigenschaften und Traditionen aus, seine Besonderheiten gelten als Alleinstellungsmerkmale für diese Narrenfigur. Neben dem aufwendigen und sorgfältig gepflegten Häs der Hänsele, auf welches später explizit eingegangen wird, ist für sie auch der Besitz und Einsatz einer „Karbatsche“ charakteristisch. Diese 3-5 Meter langen Karbatschen aus Hanfgeflecht ähneln Peitschen und können, wenn sie richtig eingesetzt werden, laute Knallgeräusche erzeugen. Der „Juck“ der Hänsele ist stets von jenem Knallen begleitet, da es die Pflicht eines Hänseles ist, eine solche Karbatsche bei sich zu tragen und zum Einsatz zu bringen. Das Schwingen der Karbatsche wird im Überlinger Volksmund als „Schnellen“ bezeichnet, welches jedoch intensiven Trainierens und einer wohl ausgearbeiteten Technik bedarf, um korrekt ausgeführt werden zu können. Aus diesem Grunde beginnen insbesondere die noch weniger erfahrenen Teilnehmer, vorwiegend Kinder und Jugendliche, bereits frühzeitig im Jahr damit, das Schnellen zu üben. Nach dem offiziellen „Einschnellen“ der Hänsele an „Heilig Drei Könige“ beginnen die Teilnehmer ihr Training, welches sich meist über Wochen hinweg bis zum krönenden Abschluss – dem Hänselejuck am Fasnetssamstag – fortsetzt. Am Tag des großen Auftritts treffen sich all diejenigen, die am Umzug teilnehmen, bereits am frühen Nachmittag. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Hänselejucks, messen sich die Teilnehmer gegenseitig im „Karbatschenschnellen“. Dabei werden die Teilnehmenden in verschiedene Altersklassen unterteilt, in welchen schließlich jeweils ein Sieger im „Karbatschenschnellen“ ermittelt und mit einem Preis ausgezeichnet wird. Im Anschluss treffen sich alle Teilnehmer im Feuerwehrhaus zu einem „Dämmerschoppen“, einer Art Einstimmung auf die sich anschließende Feierei. Gegen 18.30 Uhr ruft der Hänselesvater – der Vorstand des Hänselerates und somit das Oberhaupt der Überlinger Hänselezunft – alle Teilnehmer zum Aufbruch und zur Aufstellung vor dem Feuerwehrhaus auf. Von dort aus begibt sich, die durchaus als groß zu bezeichnende, Gruppe gemeinsam in Richtung des angeleuchteten Überlinger Hänselebrunnen. Angeführt wird der Umzug stets von den kleinsten und jüngsten Teilnehmern, an welche sich die übrigen Teilnehmer mit ansteigendem Alter anreihen. Sobald die Kirchturmuhren sieben Mal geläutet haben, beginnen die Hänsele ihren Umzug und „jucken“ dabei durch die Gassen Überlingens. Ihr Weg führt sie vom Hänselebrunnen aus durch das mittelalterliche Franziskanertor hinab durch die historische Innenstadt Überlingens in Richtung des Bodenseeufers. Die gesamte Zeit über wird die Gruppe durch ein bengalisches Feuer angeleuchtet, welches dem Nachtumzug erst seinen besonderen Charme und seine einzigartige Atmosphäre verleiht. Den Weg entlang steht eine Zuschauermasse Spalier – die Hänsele begeben sich mitten durch diese von den Zuschauern gebildete Gasse hindurch. Dabei „jucken“ die Hänsele aber keineswegs lediglich die Gasse entlang, sie unterbrechen ihren „Juck“ auch fortwährend und füllen diese Pausen mit Tanzeinlagen, lautem Karbatschenschnellen und einem „neckischen Schnurren“ der vielen Zuschauer. Letzte Anlaufstelle und somit finaler Schauplatz des Hänselejucks ist der zentrale Platz vor dem Rathaus der Stadt – auch als Überlinger Hofstatt bezeichnet. Hier wird noch einmal ausgelassen getanzt und geschnellt, bevor sich die Umzugsteilnehmer nach und nach unter die Masse der Zuschauer mischen, die Stadtkapelle den Platz verlässt, und eine lange Festnacht anbricht.

Akteure

Die Hauptakteure des Hänselejucks sind, wie der Name schon schlussfolgern lässt, die Überlinger Hänsele. Diese sind in einer 1954 gegründeten Zunft, der Hänselezunft Überlingen (HZÜ), organisiert, welche wiederum ein organisierender Teil der bereits noch länger bestehenden Narrenzunft Überlingens (NZÜ) ist. Die Bewahrung und Fortführung des Brauchtums der Überlinger Hänselefastnacht ist ihre zentrale Aufgabe und gleichsam ihr oberstes Anliegen. Die Gruppe der Hänsele ist keine kleine Gruppe: schon die Zunft allein umfasst im Jahre 2015 im Gesamten 1398 vollwertige Mitglieder – eine durchaus beeindruckende Zahl, wenn man sich vor Augen hält, dass die Stadt Überlingen im Gesamten nicht ganz 22.000 Einwohner zählt. Hierbei bleiben Kinder und Jugendliche – die Gruppe der sogenannten „Jugendhänsele“ – außerdem noch vollkommen unberücksichtigt, da erst mit Erreichen der Volljährigkeit eine offizielle Mitgliedschaft im Zunftverein angetreten werden kann. Nicht volljährige Hänsele organisieren sich in Überlingen als „Junghänsele“, diese werden von der Zunft registriert und behutsam an das Brauchtum und die HZÜ herangeführt. Die männliche Kinder und Jugendliche erlernen innerhalb dieser Organisation das korrekte Verhalten als Hästräger und werden mit dem Brauch und dessen Hintergründen vertraut gemacht. Insgesamt ist die Anzahl der Teilnehmer am Hänselejuck folgerichtig sehr hoch und umfasst eine weite Altersspanne: vom Grundschulkind hin bis zum Rentner sind bei den Hänsele alle Altersklassen vertreten. Der Überlinger Hänsele wird als „edler Narr“ beschrieben, die Figur hat eine lange Tradition und damit einhergehend existieren zahlreiche Regeln, die von einem Hänsele beachtet werden müssen. Zunächst einmal ist das Häs allein männlichen Personen vorbehalten. Frauen dürfen sich nicht im Kostüm der Hänsele zeigen, tun sie es doch, so werden sie als „Hohlziegenhänsele“ bezeichnet bzw. beschimpft. Den weiblichen Personen sind zwei Überlinger Fastnachtsfiguren vorbehalten: das Löwinnen- oder das Altwieberhäs. Das Häs der Hänsele ist aufwendig herzustellen und zugleich sehr teuer. Sein Wert beläuft sich auf circa 800 Euro. Dies ist nicht zuletzt den vielen kleinen Details und genauen Vorgaben geschuldet: das Häs der Hänsele besteht im Grunde aus einem weißen Gewand, welches vorne zuknöpfbar ist. Dieses Gewand ist mit Tuch bestückt, wobei sich jeweils zwei bis drei Reihen schwarzen Tuchs mit einem Streifen in einer vorgegebenen Farbkombination abwechseln. Diese Kombination besteht aus den Farben Gelb, Blau, Rot und Grün – stets in der genannten Reihenfolge anzubringen. Das Tuch muss man sich als einzelne Streifen bzw. als bunte und schwarze Flecken vorstellen. Aufgrund dieser Tatsache wird das Häs der Hänsele zu den sogenannten „Plätzlegewänder“ gezählt. Diese Art von Gewand ist einem der drei verschiedenen Grundtypen von Fastnetskostümen (daneben existieren noch gemalte Gewänder und Hexengewänder) zuzuordnen. Der Ursprung der Plätzlegewänder ist wohl im Mittelalter anzusetzen. Gleichsam scheint auch das Überlinger Hänsele seinen Ursprung im Mittelalter zu haben. Ausschlaggebend für diese zeitliche Einordnung ist der dämonische Anschein, welches das Hänsele auf den ersten Blick zu erwecken vermag. Weiter tragen die Überlinger Hänsele eine schwarze Maske aus demselben Material. Um die Augen herum besteht eine brillenartige Umrandung, zudem existiert ein Mundloch, welches aber durch eine rüsselartige Nase aus Samt überdeckt wird. Auf der Kappe tragen die Hänsele einen Fuchsschwanz. Der Kopfteil des Gewandes ist mit silberfarbenen Pailletten bestickt. Zur Ausstattung eines Hänseles gehört neben dem imposanten Häs stets auch eine Karbatsche, wie sie schon oben beschrieben wurde. Der Einsatz der Karbatsche und somit die Körperbewegungen, welche ein Hänsele beim „Schnellen“ ausführen muss, verleihen ihm ein bärenhaftiges Aussehen. Es ist anzunehmen, dass das Hänsele als Vorbild für weitere Zunftgewänder, wie z.B. dem Häs der benachbarten „Markdorfer Hänseler“, fungiert(e). Die Überlinger Hänselezunft ist Teil der Narrenaristokratie des „Viererbundes“, welcher ein formloses Zusammenwirken von vier verschiedenen Narrenzünften zum Schutze der närrischen Tradition zum Hauptzweck hat. Hintergrund ist die während der Weltkriege immer wieder bestehende Bedrohung der „närrischen Sache“ und die damalige Existenz von Verboten, welche das Fasnetsgeschehen zu verhindern bzw. zu verbieten suchten. Neben der Überlinger Zunft, gehören dem Viererbund auch die Zünfte Rottweil, Elzach und Villingen an. Nicht vergessen werden dürfen die Zuschauer, welche ebenso als Akteure betrachtet werden müssen wie die eigentlichen Teilnehmer, da der „Hänselejuck“ von seinem Publikum lebt und zehrt. Fast kein Überlinger – abgesehen von denjenigen, die mit der Fasnet selbst wirklich überhaupt nichts anfangen können – erscheint nicht zum Hänselejuck am Fasnetssamstag. Dieser wird als absoluter Höhepunkt der jährlichen närrischen Zeremonie angesehen. Aber neben Einheimischen, hat sich der Brauch solche Bekanntheit verschafft, dass auch viele nicht oder ehemals heimische Personen nach Überlingen reisen und sich den Nachtumzug nicht entgehen lassen. Während des Umzuges kommt es häufig zu einer Interaktion zwischen Hänsele und Zuschauern, ist es doch charakteristisch für den Hänsele, dass er das Publikum stets närrisch „neckt“ und „schnurrt“. Weiterhin sorgen verschiedene Kapellen für die musikalische Begleitung des Umzugs und sind folglich ebenso den Akteuren zuzurechnen.

Veranstaltungsort

Austragungsort des Hänselejucks ist die historische Überlinger Innenstadt. Der Umzug verläuft stets auf dem selben Wege. Startpunkt des Nachtumzuges ist der Hänselebrunnen, welcher sich an der Kreuzung zwischen der Graben- und der Franziskanerstraße befindet. Dieser Brunnen ist einer der ältesten Narrenbrunnen in der Landschaft der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Sein Ursprung liegt in ferner Vergangenheit. Es ist davon auszugehen, dass bereits im Mittelalter an dieser Stelle ein Brunnen existierte, welcher zur damaligen Zeit noch vorwiegend als Viehtränke und zum Putzen von Fässern fungiert zu haben scheint. Im Jahre 1934 wurde dieser schließlich als „Hänselebrunnen“ eingeweiht. Verbunden war dieses Ereignis mit dem 60-jährigen Bestehen der Überlinger Narrenzunft. Der Brunnen besteht aus fränkischem Muschelkalk und seine absolute Besonderheit ist der etwa zwei Meter hohe Hänsele, der in der Mitte des Brunnens herausragt. Jener Hänsele hält eine circa 2 Meter lange Karbatsche aus verzinkten Eisendrähten in der Hand. An zwei Seiten ist der Brunnen zudem mit besonderer Architektur versehen: auf der einen erkennt man einen wasserspeienden Kopf eines Narrenrates, während auf der anderen Seite zwei Bronzereliefs ihren Platz gefunden haben. Diese stellen einen Schwertlestänzer, auf den in der historischen Genese noch explizit eingegangen wird und der eine enge Verbindung zum Überlinger Hänsele aufweist, sowie ein in die Überlinger Tracht gekleidetes Mädchen dar. Von diesem Ausgangspunkt bewegt sich die Gruppe der Hänsele fortan in Richtung Seeufer. Dabei gehen die Teilnehmer durch das historisch bedeutsame, spätgotische Franziskanertor hindurch, welches 1494 erbaut wurde und damals als Ein- und Ausgangstor der Stadt fungierte. Schließlich führt der Umzug über die Franziskanerstraße in die Jakob-Kessering-Straße und weiter auf die Überlinger Hofstatt, dem zentralen Platz vor dem Überlinger Rathaus. In früheren Zeiten wurde an diesem Ort Handel mit Fischen betrieben. Angefangen beim Hänselebrunnen bis hin zu den Straßen, durch welche der Hänselejuck führt, wird an diesem besonderen Tag ein bengalisches Feuer zur Beleuchtung der Gebäude, Straßen und des Brunnens wirkungsvoll eingesetzt. Dies verleiht der Kulisse des Nachtumzuges einen besonderen und zugleich beeindruckenden Anschein.

Brauch- und Rollenverständnis

Die Überlinger Narrenzunft, insbesondere die untergeordnete Hänselezunft, versteht sich als Hüterin eines seit langer Zeit bestehenden Brauches. Der Hänsele ist die Hauptfigur der Überlinger Fastnetsgeschichte und soll als solche bewahrt und gepflegt werden. Ursprünglicher Anlass zur Gründung der Zunft war die Angst, dass die Traditionen der Überlinger Narren verblassen könnten. Zur Aufrechterhaltung derselben wurde daher die Hänselezunft im Jahre 1954 gegründet, seither kümmert sie sich um bewährte Bräuche und auch um die Organisation der Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit dem Auftreten der Überlinger Hänsele stehen. Darunter fällt selbstverständlich auch die Organisation des jährlichen Hänselejucks. Keineswegs ist es daher erlaubt, das Überlinger Hänselekostüm auch zu Anlässen zu tragen, die nicht mit der Reinerhaltung des Brauches im Zusammenhang stehen. Während der Fasnachtszeit darf das Häs lediglich zwischen dem Fasnachtssamstag und dem darauffolgenden Dienstag getragen werden. Innerhalb dieser Zeit sind den Hänsele nur zwei Auftritte vorbehalten: die Teilnahme am Hänselejuck und das Auftreten beim Sonntagsumzug am Folgetag. Daneben wird das Hänselekostüm lediglich zu besonderen Anlässen getragen, wie zum Beispiel bei Stattfinden der Schwedenprozession, welche ein weiterer typischer Brauch der Stadt Überlingen ist. Bei diesem Ereignis nimmt stets ein Hänsele teil. Für solche Auftritte und das Tragen des Kostüms bedarf es dennoch stets der Erlaubnis durch die Zunft. Diese Organisation achtet auch strengstens auf das korrekte Benehmen und das saubere und ordentliche Auftreten eines Hänseles in der Öffentlichkeit. Im Wesentlichen meint ein korrektes Auftreten, dass sich der Hänsele nicht kenntlich machen darf und seine Maske stets zu tragen, aber auch, dass er sich vornehm und großzügig zu verhalten hat. Der Hänsele versteht sich als edler Narr und soll sich demgemäß benehmen. Um den Hästrägern eine Art grundsätzlichen Verhaltenskodex vorgeben zu können, wurden insgesamt 7 Gebote festgelegt, an welche sich der Hänsele stets zu halten hat: 1. Der Hänsele ist ein gebender und kein nehmender Narr. 2. Der Hänsele hat sich nobel zu verhalten. 3. Der Hänsele sollte immer sauber auftreten. 4. Der Hänsele hält sich an die Häsordnung der Zunft. 5. Die Kappe ist stets auf dem Kopf zu tragen. 6. Die Karbatsche ist am langen Arm mitzuführen. 7. Der Hänsele muss schnellen können. Die aufgestellten Regeln dienen grundlegend der Reinerhaltung eines Brauches, sie möchten einen Missbrauch der Traditionen verhindern. Meist befolgen die Hänsele diese Gebote gewissenhaft und gerne. Sie selbst sehen ihr Auftreten als außerordentlich wichtig an und sind beinahe durchweg stolz auf ihre Mitgliedschaft bzw. auf das Privileg, das Häs der Hänsele tragen zu dürfen.

Hintergrund-Infos

Erstmals namentlich erwähnt wurde das Überlinger Hänsele im Jahre 1766 in der Überlinger „Schwerttanzchronik“. In dieser findet sich ein Verweis darauf, dass sich die Schwerttanzgesellschaft ein neues Hänselekleid habe anfertigen lassen. In welchem Zusammenhang steht nun aber die Narrenfigur des Hänsele mit einer Kompanie des Schwerttanzes? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst der Blick von der Fasnet selbst ein wenig abgewandt werden: der Schwertlestanz hat in Überlingen eine besondere Bedeutung, wird der Tag des Schwertletanzes doch als wichtigster Feiertag Überlingens bezeichnet. Aufgeführt wird dieser Tanz stets im Rahmen der zweimal jährlich stattfindenden Schwedenprozession, ein Brauch , dessen Ursprung vor dem Hintergrund des 30-jährigen Krieges zu finden ist. Mit der Prozession soll daran erinnert werden, dass es der Stadt Überlingen in den Jahren 1632 und 1634 jeweils gelang, eine Belagerung durch die Schweden erfolgreich abzuwehren. Inmitten aller Schwerttänzer befindet sich bei dieser Zeremonie ein Hänsele, welcher beim heutigen Gedenktag stets in seiner traditionellen Kleidung auftritt. Diese aktive Teilhabe des Hänsele wird sehr gerne auf eine Sage zurückgeführt, nach welcher die Stadt Überlingen dem Kaiser einst 100 Krieger zur Verfügung zu stellen hatte. Von den 100 Kriegern besuchten bis auf eine Ausnahme alle Männer noch einmal die Messe im Überlinger Münster, bevor die Abordnung durch den Kaiser erfolgte. Nur Einer besuchte die Messe nicht, er zog stattdessen in den Wirtshäusern der Stadt umher. Alle Krieger kehrten unversehrt aus dem Krieg zurück, nur der eine, welcher die Messe nicht besucht hatte, starb. Die Sage zeigt die damalige tiefe Religiosität der Menschen während des Mittelalters besonders deutlich auf. Bei der jährlichen Schwedenprozession übernimmt nun der Hänsele die Rolle des abgekehrten Außenseiters, er erinnert an den damals gefallenen Mann. Lediglich ihm wird das Privileg zum Schwerttanz untersagt, er treibt stattdessen in der Mitte aller Tänzer seinen Schabernack. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies auch durch seine typische Aufmachung darstellen, sagt man doch, dass das Hänselekostüm einen dämonischen Eindruck erwecke und die Gestalt eines Toten besäße. Neben diesem eindeutigen historischen Beleg für die bereits frühe Existenz des Überlinger Hänseles, finden sich weitere Hinweise auf denselben in verschiedenen Ratsprotokollbüchern, welche seit 1496 gewissenhaft geführt werden und aktuell beinahe lückenlos vorliegen. Auf die Teilnahme des Hänseles am Geschehen der Fastnacht wird erstmals im Ratsprotokoll des Jahres 1769 verwiesen, jedoch scheint der Hänsele bereits zuvor in enger Verbundenheit zur Fastnacht gestanden zu haben. 1769 untersagte der Rat den Hänsele einen öffentlichen Auftritt in den Überlinger Straßen nach 18.00 Uhr während der Fasnet. Nicht allein hieran lässt sich erkennen, dass insbesondere das jährliche Narrentreiben oftmals auf Widerstände und Verbote gestoßen war. Im Zeitraum um den ersten Weltkrieg häufte sich die Problematik für die Narren: 1919 verbot der Freistaat Baden allerlei Faschingsvergnügen, er erließ hierfür extra eine Verordnung. Doch hatte die Stadt Überlingen bereits damals Glück, denn der Amtsvorstand konnte eine Ausnahmegenehmigung für die Stadt erwirken, um so den jahrhundertealten Brauch zu schützen. Dies schützte die Narren allerdings nicht vor weiteren Einschränkungen und Verboten. Immer wieder versuchten Obrigkeiten dem Faschingsvergnügen neue Grenzen aufzuerlegen. Ihr Hauptargument dabei war, dass es sich nicht schicke, in schlechten Zeiten – wie den damaligen Kriegszeiten – verschwenderisch und fröhlich in der Öffentlichkeit aufzutreten. Jedoch wussten sich die Narren selbst zu helfen: sie gründeten Narrenzünfte und verbündeten sich wiederum mit anderen Zünften. Umso besser ihre Organisation und umso weitreichender ihre Zusammenschlüsse, umso schwerer wurde es, ihnen Verbote und Grenzen aufzuerlegen. im Jahre 1924 gründete man beispielsweise die VSAN – die Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte, die sich gegen verfälschtes Brauchtum stark machte. Im Jahre 1953 wurde der Weg für den heutigen Viererbund geebnet: neben Rottweil und Elzach, verließ auch die Stadt Überlingen die VSAN – in diesen Städten wurde die Fastnacht als historischer Brauch anerkannt und die Orte blieben fortan von den meisten Auflagen verschont. Zunächst existierte also ein Dreierbund, erst später wurde der Dreier- zum Viererbund und nahm Oberndorf in seine Vereinigung auf. Bereits 1954 wurde auch die Überlinger Hänselezunft gegründet. Ihr oberstes Anliegen ist die Erhaltung sämtlicher Traditionen, die im Zusammenhang mit den Überlinger Hänsele stehen. Sie versteht sich als Brauchtumshüterin und bewahrt eine jahrhundertealte Tradition – nach Möglichkeit in ihrer Reinform.

Interview zum Brauch

Interview mit einem ehemaligen Bewohner Überlingens, über Jahre hinweg als Barkeeper in einer Bar in Überlingen tätig. 1. Welchen Stellenwert hat die Fasnet im Allgemeinen für die Bewohner Überlingens? Einen äußert hohen Stellenwert. Die gesamte Stadt ist involviert. Vom schmotzigen Donnerstag an bis zum Abend des Fasnetsdienstags ist die Fasnet allgegenwärtig. Selbst Leute, die unter dem Jahr nicht mehr in Überlingen wohnen, kommen über das Fasnetswochenende nach Hause. Der Großteil der Bewohner nimmt sich für diesen Höhepunkt sogar jedes Jahr Urlaub. 2. Welchen Eindruck erweckt die Stadt am Fasnetssamstag bevor der große Hänselejuck beginnt? Den ganzen Tag warten schon alle auf den großen Umzug am Abend. Man merkt die Spannung und Vorfreunde jedem förmlich an. In ganz Überlingen schnellt es bereits den ganzen Tag. Es scheint, als würden man den Abend kaum erwarten können. 3. Wie groß ist die Beteiligung der Stadtbewohner an der Fasnet allgemein, insbesondere aber an den Bräuchen der Hänsele? In Überlingen ist der Anteil der Bewohner, die nicht aktiv an der Fasnet beteiligt sind, eher eine Minderheit. Fast alle machen mit, gehören einer Narrenzunft an oder sind wenigstens als Zuschauer dabei. Gerade die Hänselezunft hat eine enorm hohe Mitgliederzahl. Es scheint einem teilweise, als wäre beinahe jeder männliche Erwachsene Mitglied in dieser Zunft. Auch viele Frauen sind Mitglieder einer Narrenzunft und legen viel Wert auf die Fasnet selbst. 4. Wie ernst nehmen die Hänsele ihr Auftreten und ihre Zugehörigkeit zur Hänselezunft? Der Großteil nimmt sein Auftreten sehr ernst. Leider gibt es immer wieder einige Ausnahmen, Leute, die gegen die Regeln verstoßen. Gegen diese wird dann aber auch sofort vorgegangen. Von daher kann man schon sagen, dass der Erhalt des Brauchs und auch das korrekte Benehmen sehr ernstgenommen werden. Bei Fehlverhalten wird sofort getadelt. 5. Halten sich die Hänsele tatsächlich an das Gebot ihre Kopfbedeckung nicht abzunehmen? Während des Umzugs halten sie sich auf jeden Fall daran. Auch im Anschluss wird das Gebot noch sehr ernstgenommen. Erst zu wirklich später Stunde, wenn der Abend sehr feucht-fröhlich geworden ist, kann es sein, dass vereinzelt ein Hänsele seine Kopfbedeckung abnimmt. Natürlich nutzen das manche Personen auch, um einmal unerkannt bleiben zu können und sich so vielleicht mehr zu trauen als an anderen Tagen. 6. Wie großzügig sind die Narren in Hinblick auf finanzielle Ausgaben während der Fasnetszeit? Lassen sie sich den Spaß etwas kosten? Der Überlinger lässt sich den Spaß grundsätzlich etwas kosten. Während der Fasnet kann es aber durchaus passieren, dass er auch mal übertreibt. 7. Wie ist die Atmosphäre bei der großen Feier im Anschluss an den Hänselejuck? Alle sind gut gelaunt. Die ganze Stadt ist in Feierlaune. Das sieht man auch an den Umsätzen, die die Bars und Kneipen während dieser Zeit machen. Alle Drinks müssen wir schon im Voraus zubereiten, da wir sonst mit den Bestellungen gar nicht mehr hinterherkommen würden. 8. Akzeptieren die Frauen das Verbot ein Hänsele zu tragen? Die meisten Frauen akzeptieren es. Seit jeher dürfen sich nur die Männer als Hänsele verkleiden und am Hänselejuck teilnehmen. Ob sich aber wirklich alle daran halten, ist schwer zu sagen. Schließlich drohen sehr strenge Konsequenzen, wenn man versucht einem Hänsele die Maske abzunehmen – wir konnten das also nie wirklich überprüfen!

Weblinks

Literatur

  • Mezger, Victor: Narro und Hänsele. Schwäbisch-alemannische Volksfasnacht. Lindau: Jan Thorbecke Verlag 1956.
  • Schenk, Günter: Christliche Volksfeste in Europa. Prozessionen, Rituale, Volksschauspiele. Innsbruck: Tyrolia 2006, S. 173-175.

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