Brezenhurre in Ziemtshausen

Termin

Dieser Brauch findet am 08.02.2024 statt.

Einstiegsinformation

Die Brezenhurre ist ein Faschingsbrauch, der im schwäbischen, ansonsten faschingsarmen Ziemetshausen ausgeübt wird. Die Brezenhurre, bei der Brezen und Würstchen an die Ziemetshauser Kinder verteilt werden, findet jedes Jahr am Gumpigen Donnerstag statt. Auf die Art und Weise wie dieser Brauch in Ziemetshausen stattfindet, ist er wohl einmalig in Deutschland.

Ablauf

Verkleidete Kinder bei der Brezenhurre.
Zum Ende der Faschingszeit, am Gumpigen Donnerstag, machen sich die Ziemetshauser Kindergartenkinder mit ihren Erzieherinnen und die Schüler mit ihren Lehrern zwischen 11:30 Uhr und 11:45 Uhr auf den Weg zum Rathaus. Auch die Kinder aus Ziemetshausen, die Schulen in den umliegenden Orten besuchen, dürfen an diesem Tag den Unterricht früher verlassen, um an der Brezenhurre teilnehmen zu können. Wenn alle Kinder, die zum Teil maskiert sind, vor dem Rathaus eingetroffen sind, wird zusammen mit vielen Schaulustigen auf den Zwölf-Uhr-Glockenschlag der Pfarrkirche gewartet. Denn mit dem Zwölf-Uhr-Läuten wird die Rathaustür geöffnet, Bürgermeister, Pfarrer und ein Geistlicher der nahen Wallfahrt Maria Vesperbild treten heraus. Als
Kinder bei der Brezenhurre.
nächstes wird gemeinsam mit Kindern und Zuschauern der „Englische Gruß“ gebetet. Anschließend lädt der Bürgermeister die schon ungeduldig wartenden Kinder ein, durch das Rathaus zu gehen. Dieser Einladung folgen die Kinder nur allzu gerne und so gehen die Kindergartenkinder voran ins Rathaus, um sich dort zwei Brezen und ein Paar Würstchen abzuholen. Im Flur des Rathauses werden die Brezen und Würstchen vom Bürgermeister, dem Pfarrer und den Marktgemeinderäten verteilt. Sobald alle Kinder wieder draußen vor dem Rathaus stehen, ertönen die „Fenster auf, Fenster auf“-Rufe. Denn die Kinder wissen, dass etwas übrig geblieben ist und so beginnt erst jetzt die eigentliche Gaudi der Brezenhurre. Die restlichen Brezen und Würstchen, meist nicht gerade wenige, werden nun von den Gemeinderäten aus den geöffneten Rathausfenstern im Erdgeschoss in die wartende Menschenmenge geworfen. Jeder versucht hierbei so viel wie möglich zu fangen. Dabei sind die kleineren Kindergartenkinder oftmals im Nachteil und so kann es schon mal sein, dass die Eltern hier ein wenig mithelfen. Sobald alles verteilt ist, werden die Rathausfenster, begleitet von einem etwas enttäuschten „Ooooh“, wieder geschlossen und der Brauch der Brezenhurre ist für dieses Jahr beendet.

Varianten

Brezenhurre Ziemetshausen.
Im Jahre 2004 wurde erstmalig der Versuch unternommen, den Ablauf der Brezenhurre ein wenig zu verändern. Dabei wurden zum ersten Mal Faschingslieder von den Grundschulkindern gesungen und getanzt. Auch die Zuschauer wurden aufgefordert, sich zu beteiligen. Bei dieser Gelegenheit wurde zudem der eigens hierfür erfundene Faschingsschlachtruf Zi, Za, Zusam eingeführt. So wurden die Brezen und Würstchen zwar wie jedes Jahr zuerst im Rathaus an die Kinder verteilt und danach von Bürgermeister, Marktgemeinderäten und Pfarrer den wartenden Kindern zugeworfen, jedoch wurde dies von lauten Zi, Za, Zusam-Rufen der Kinder und der Zuschauer begleitet. Ursprünglich haben das Singen von Faschingsliedern und der Schlachtruf Zi, Za, Zusam nichts mit der Brezenhurre zu tun. Da sich diese Veränderung im Ablauf des Brauchs jedoch nicht durchsetzen konnte, kam man wieder zum ursprünglichen Ablauf zurück. Bei der nächsten Brezenhurre, im Jahr 2012, möchte man versuchen zumindest Zi, Za, Zusam wieder aufzugreifen und dann auch in Zukunft beizubehalten. (vgl. Voh, Peter: Zi, Za, Zusam) Ebenso einmalig wurde ein Gedicht über den Faschingshöhepunkt in Ziemetshausen in den Ablauf der Brezenhurre eingebunden.
Am Gumpiga Duschtig, des isch doch klar, geits in Zeametshausa Brezga end Würscht - wunderbar! Ausm Rathausfenschter fligat se naus, und wer dia fangt, hatn guta Schmaus.

Hintergrund-Infos

Brezenhurre Ziemetshausen.
Der Brauch wurde erstmalig im Jahre 1572 urkundlich erwähnt, hatte damals aber noch nichts mit dem Fasching zu tun. Zu dieser Zeit wurden vom Pfarrer „Ösels-Pretzgen“ als Belohnung verteilt. Dieses Gebäck bekamen die Kinder, die am Palmsonntag den auf einem hölzernen Esel sitzenden Jesus zur Kirche zogen. Diese Prozession sollte den Einzug Jesus in Jerusalem darstellen. Später wurde diese Speisengabe dann auf alle Kinder bzw. auf alle armen Leute ausgeweitet. Fast ein Jahrhundert später, nämlich 1643, verteilte der Pfarrer an der „Herrenfastnacht“ von ihm gespendete „Hasenöhrle“ an arme Kinder. In den nächsten Jahren wurde der Brauch ebenfalls vom Schlossherrn zu Seyfriedsberg unterstützt. Im Jahre 1805, mit Beginn der Säkularisation, schlief der Brauch schließlich ein, auch da die Ausgaben der Kirche anstiegen und so der Pfarrer die Kosten für die Ösels-Pretzgen nicht mehr tragen konnte oder wollte. 1883 wurde der Palmesel schließlich auch verbrannt, nachdem er viele Jahre nur auf dem Dachboden der Kirche stand. Erst zwischen 1924 und 1930 wurden in Ziemesthausen unter Bürgermeister Johann Baur wieder Erinnerungen an diesen alten Brauch der Kinderspeisung wach. Und so wurden angesichts der Not nach dem Ersten Weltkrieg wieder Brezen vor dem 1891 erbauten Rathaus an sehr arme Kinder verteilt. So wurde der Brauch von der Gemeinde wieder aufgenommen. Von nun an fand das Ereignis nicht mehr am Palmsonntag statt, sondern am Gumpigen Donnerstag, da es auch keinen Palmesel mehr gab, der von den Kindern in die Kirche gezogen wurde.
Historische Fotografie der Brezenhurre Ziemetshausen.
Nachdem der Brauch während des Zweiten Weltkrieges nochmals in Vergessenheit geriet, wurde er 1946 erneut wiederbelebt. Der damalige Bürgermeister Johann Haiß führte zu dieser Zeit auch das Wurstschnappen ein. Dazu ließ er aus dem obersten Stock des Rathauses an Fäden befestigte Würste herunter und es wurde ein Kasperltheather vor dem Rathaus aufgeführt. Heute nimmt man an, dass das Verteilen von den Würsten neben den Brezen darauf zurückgeht, dass die Brezen damals wohl sehr trocken gewesen sein mussten (vgl. Winkler, Karin: Vorfreude auf die Brezenhurre). Die Bezeichnung der Brezenhurre leitet sich wahrscheinlich vom mittelhochdeutschen „hurren“ ab. Dies bedeutet in etwa so viel wie hüpfen, sich schnell bewegen. Anscheinend wurden die Brezen und Würstchen damals schon in die Luft geworfen, damit sie von den Kindern gefangen werden konnten. Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass „hurre“ eine schwäbische Variante von „Hurra“ ist.

 Gewährsperson

Peter Voh, gelernter Betriebswirt und zwischenzeitlich im Rentnerstand, lebt seit gut 40 Jahren in der Zusamgemeinde. Seit einem knappen Jahrzehnt ist er auf Honorarbasis freier Mitarbeiter der Regionalzeitung „Mittelschwäbische Nachrichten“, einem Heimatblatt der Augsburger Allgemeinen und schreibt auch für den „Mindel- und Zusambote“, dem sog. Kirchenanzeiger und Anzeigenblatt für die Bewohner in besagtem Gebiet. Als Lokalreporter begleitet Peter Voh das ganze Jahr über das Geschehen vor Ort, im gesellschaftlichen und teils auch im kirchlichen Bereich. Zu geschichtlichen Anlässen, wie z. B. der Brezenhurre, dem Schicksal der hierher gelangten Heimatvertriebenen oder Flüchtlinge usw. oder auch zu kirchlichen Bräuchen und Feiern kann Voh auf Chroniken der Marktgemeinde oder auch des hiesigen Pfarramtes von St. Peter und Paul zugreifen. Soweit diese Unterlagen zuverlässig sind – die werden auch von Prof. Georg Kreuzer, dem früheren Kreisarchivar und einem Historiker untersucht und ggf. berichtigt -, werden sie auch von Peter Voh als Arbeitsunterlagen herangezogen. Insofern beruhen auch die Aufzeichnungen der Brezenhurre auf fundierten Unterlagen.

Literatur

  • Interview mit Peter Voh
  • Maier, Franz: Tradition im Markt: die Brezenhurre.
  • Thoma, Karl-Borromäus: Der neue Palmesel.
  • Voh, Peter: Heute Gaudi, früher Wohltat.
  • Voh, Peter: Zie, Za, Ziemets.
  • Voh, Peter: Zi, Za, Zusam.
  • Voh, Peter: Kleine Maschkerla zogen zur Brezenhurre.
  • Voh, Peter: Fenster auf, Fenster auf.
  • Voh, Peter: Wohl einmalig: die Brezenhurre.
  • Voh, Peter: Morgen wieder Brezenhurre in Ziemetshausen.
  • Winkler, Karin: Vorfreude auf die Brezenhurre.

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