Äthiopische Weihnachten

Termin

Anders als in anderen christlichen Ländern beginnt das Weihnachtsfest (Genna oder Lidet) in Äthiopien erst am 6. Januar. Das Datum begründet sich daher, da sich die äthiopisch-orthodoxen Christen nicht am gregorianischen sondern am julianischen Kalender orientieren.

Einstiegsinformationen

An Weihnachten versammeln sich in Äthiopien tausende von Menschen in und vor den Kirchen, um dem etwa sechsstündigen Gottesdienst zu erleben und die Geburt Christi sowie das Ende der vorweihnachtlichen Fastenzeit zu feiern.

Etymologie

Aus etymologischer Perspektive lässt sich der äthiopische Begriff „Lidet“ mit dem deutschen Wort „Geburtstag“ übersetzen. Der weitere, gebräuchlich verwendete Begriff „Genna“ leitet sich mit großer Wahrscheinlichkeit von „Gennana“ ab und bedeutet so viel wie hervorragend oder ganz besonders. Diese Bezeichnungen drücken wortwörtlich die empfundene Freude, Liebe und den Respekt der Menschen aus, welche sie dem Christkind an Weihnachten entgegenbringen.

Ablauf

Ende der Fastenzeit

Als spirituelle Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi spielt zunächst die Fastenzeit eine zentrale Rolle, in welcher Körper und Geist gereinigt werden. Während diesen 43 Tagen des vorweihnachtlichen Fastens sind alle Gläubigen angewiesen, auf tierische Lebensmittel wie Fleisch oder Eier und Genussmittel wie Tabak zu verzichten.

Festgottesdienst

Eine äthiopische Kirche.

Traditioneller Beginn der weihnachtlichen Feierlichkeiten markiert der Gottesdienst in den Kirchen des Landes am Abend des 6. Januars. Dabei kommen viele tausend Menschen in weißer Kleidung in und vor die überfüllten Gotteshäusern zusammen. Aufgrund des immensen Andrangs werden auch Lautsprecher installiert, die die Predigt und Loblieder in den Außenbereich übertragen.

Zu diesem festlichen Anlass tragen viele der Gottesdienstbesucher beim Betreten der Kirche weiße Tücher über Kopf und Oberkörper. Ebenso trägt jeder eine Kerze mit sich, die bei der späteren Prozession entzündet wird. Nachdem sich gemäß äthiopischer Regeln alle beiwohnenden Frauen und Männer in getrennten Bereichen der Kirche eingefunden haben, singen diese die altbekannten Weihnachtslieder mit, die von Priestern (Debtera) angestimmt werden.

In Gotteshäusern, die einen Jesus Tabot (Nachbildung der 10 Gebote) besitzen, ist es auch üblich, dass die Priester diesen verhüllten Tabot aus dem Allerheiligsten holen und in einer feierlichen Prozession dreimal um die Kirche führen. Im Anschluss folgen weitere Prozessionen, bei denen sich alle Gemeindemitglieder anschließen und die entzündeten Kerzen mittragen. Die gesamte Zeremonie erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa sechs Stunden bis zum frühen Morgen.

Feier im Familienkreis

Äthiopischer Priester.

Nach der Weihnachtsmesse kehren die Familien in ihr Zuhause zurück, um die Feierlichkeiten vorzubereiten. Hierfür wird anlässlich der endenden Fastenzeit ein sehr üppiges Festmahl zubereitet und im Kreise der oftmals großen Familien verzehrt. Anders als beispielsweise in Deutschland wird der restliche Festtag nicht in besinnlich, stiller Atmosphäre verbracht, sondern mit traditionellen Tänzen zu rhythmischer Trommelmusik. Oftmals wird auch gerne gemeinsam mit den Familienmitgliedern eine Art Hockey Spiel, das Ganna praktiziert.

Festessen

Ye Genna Dabo – das Weihnachtsbrot

Die Speisen für das weihnachtliche Festessen werden oft je nach persönlichem Vorlieben ausgewählt und variieren von Region zu Region. Beispielsweise wird in vielen Familien der Region Addis Abeba das Weihnachtsbrot (Ye Genna Dabo) gebacken. Dieses Brot besteht hauptsächlich aus Vollkornmehl und wird umhüllt von großen Bananenblättern gebacken.

Von besonderer Bedeutung ist dabei auch die Anwesenheit eines Priesters. Dieser weiht das Haus, die Familie, Gäste und Speisen mit Gebeten und Weihwasser und speist anschließend zusammen mit den Anwesenden.

Doro Wat und Injera – Soße und Fladenbrot

Weihnachtstisch mit Schmuck.

Vielerorts wird auch das bekannte äthiopische Nationalgericht Doro Wat gekocht. Dabei handelt es sich um eine sehr scharfe Chili-Soße mit Hühnerfleisch und Eiern, welche wie andere vorbereitete Soßen zusammen mit dem Injera, einem dünnen Sauerteig-Fladenbrot verzehrt wird. Oftmals wird auch eigens für das Festessen ein Schaf geschlachtet. Die unterschiedlichen Speisen werden im Anschluss auf einem traditionellen Tisch, dem geflochtenen „Mesob“, platziert. Um diesen versammeln sich alle Beteiligten und essen die Gerichte mit den Händen.

Nach äthiopischer Überzeugung gilt es als unsittlich, an einem so besonderen Tag alleine zu speisen und zu trinken. Stattdessen wird die Fastenzeit gemeinsam mit der Familie und auch mit den Verwandten, Freunden und Nachbarn beendet, indem man sich an den folgenden Tagen gegenseitig besucht und gemeinsam feiert. Bei diesen Besuchen werden auch oftmals Stücke des selbstgebackenen Weihnachtsbrotes mitgebracht, um dieses miteinander zu teilen. Zudem ist es insbesondere an Weihnachten üblich, Essen an ärmere Mitmenschen zu verschenken.

Gewährspersonen

Im Rahmen dieses Artikels wurde ein Interview mit einem 28-jährigen Studenten der Universität Augsburg geführt. Der Interviewpartner stammt ursprünglich aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und lebt seit etwa sieben Jahren in Augsburg.

Belege, Literatur

  • Heinrich, Wolfgang: Ethnische Identität und nationale Integration. Betrachtung traditioneller Gesellschaftssysteme und Handlungsorientierungen in Äthiopien. In: Institut und Sammlung für Völkerkunde. Arbeiten aus dem Institut für Völkerkunde der Universität Göttingen. S.17. Herodot: Göttingen 1984.
  • Merten, Kai: Das äthiopisch-orthodoxe Christentum. Ein Versuch zu verstehen. Lit: Münster 2012.
  • Tamcke, Martin (Hg.): Daheim und in der Fremde. Beiträge zur jüngeren Geschichte und Gegenwartslage der orientalischen Christen. Lit: Hamburg 2002.
  • Zelleke, Kefelew, Heyer, Friedrich: Das orthodoxe Äthiopien und Eritrea in jüngster Geschichte. Tabor Society: Heidelberg 2001.